Kriege brachten Tod, Sklaverei, Hunger und Zerstörung durch fremde wie durch eigene Heere. Konnte die Zerstörungskraft des Krieges in ausländisches Gebiet getragen und vom eigenen Territorium fernhalten werden, dann war das das Beste für die mesopotamischen Bauern. Kriege waren Teil des göttlichen Schöpfungsplans, Instrumente zum Erhalt des universellen Gleichgewichts.
Für die Eliten im Umfeld der Könige war die Situation eine völlig andere. Für sie hatten Kriege unmittelbare soziale und ökonomische Folgen. Auf der einen Seite gab es negative Konsequenzen. Kriegsdienst war eine Form des Frondienstes, später der Steuerleistung. Kriege bedeuteten für die Eliten einen Verlust an Arbeitskraft und Ressourcen (für Ausrüstung und Verpflegung), und oft – vor allem bei militärischen Misserfolgen – auch des Lebens und der Existenz. Dem standen positive Kriegsfolgen wie gehobenes Prestige (der eigenen Person, der Stadt, des Herrschers), Karrieren oder die Vermehrung von Reichtum durch Beute, Schenkungen, Privilegien bzw. Handel gegenüber.
Die aufstrebenden mesopotamischen Staaten in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v.u.Z. – allen voran die Reiche von Akkad und Ur – verdankten ihren Aufstieg in erster Linie einer Reihe erfolgreicher Feldzüge. Diese bewirkten nicht nur einen machtpolitischen Prestigegewinn, sondern auch territoriale Zuwächse und wirtschaftliche Prosperität für die mesopotamischen Eliten. Ein besonderes Augenmerk galt dabei den Bergländern des Ostens und Nordens, die wir heute mit den Gebirgsformationen des Zagros und des Taurus identifizieren.
Einerseits liefen durch diese Bergregionen die wichtigsten Handelsrouten nach Anatolien und in den Iran. Zum anderen war das rohstoffarme Mesopotamien dringend auf Rohstoffe aus den Bergen angewiesen. Keines der großen Bauprojekte in Ur, Uruk, Nippur oder Akkad wäre ohne Bauholz aus diesen Regionen möglich gewesen. Allein für die Deckenbalken des Sîn-kašid-Palastes in Uruk waren schätzungsweise 16.000 Laufmeter Bauholz nötig. Die militärische Akquisition von Bauholz fand ihren bedeutendsten literarischen Niederschlag in der Erzählung von Gilgamesch und Huwawa.
Ein weiterer wirtschaftlicher Faktor der Gebirgsregionen war das Vorhanden sein von Erzlagerstätten. Kupfer kam nicht nur aus dem Oman und dem Iran, sondern auch aus Ostanatolien; Zinn über den Iran und Anatolien aus Zentralasien, Gold, Silber und Blei aus Ostanatolien und aus dem Iran. Sargon von Akkad nennt die „Silberberge“ im Norden explizit als Ziel eines Feldzugs.
Literarische Reflexionen über Auseinandersetzungen mit den Gebirgsbewohnern betonen aber auch ganz andere Kriegsgründe. Als Beispiel soll die sumerische Erzählung „Inanna und Ebich“ dienen. Der Text glorifiziert eine siegreiche Auseinandersetzung der Liebes- und Kriegsgöttin Inanna mit dem personifizierten Gebirge Ebich – dem heutigen Djebel Hamrin im Osttigrisland. Er behandelt mit großer Wahrscheinlichkeit ein reales historisches Ereignis.Der Text hebt das Geschehen auf eine mythische Ebene. „Inanna und Ebich“ geht von einer natürlichen Hierarchie zwischen dem Zweistromland (kalam) und den Gebirgen des Nordens und Ostens (kur) aus, einer gottgegebenen Vorherrschaft der Hochkultur über die Randzonen.
Im Mythos „Ninurta und die Steine“ (lugal-e) wird diese Situation noch deutlicher. Der Asag-Dämon wollte mit Hilfe machtvoller Felsen die Herrschaft über die Berglände gewinnen. Nach dem Sieg über den Dämon schichtet Ninurta die Felsen zu einer großen Mauer im Norden Mesopotamiens auf – dem Gebirge – und bestimmt schließlich ihr Schicksal. Unter den feindlichen Steinen befindet sich auch der Diorit. Durch Ninurtas Sieg wird er dienstbar gemacht und kann als Material für Königsstatuen – wie jene des Gudea von Lagasch – dienen.
Den Bergregionen ist in der Schöpfung die Rolle zugedacht worden, als Lieferanten der in Mesopotamien fehlenden Rohstoffe zu dienen. Wenn sie diese aus Arroganz und Überheblichkeit nicht erfüllen, müssen sie militärisch in ihre Rolle zurückgebracht werden. Durch dieses Mythologem ließen sich heroische und wirtschaftliche Kriegsziele wunderbar literarisch verschmelzen. Die Narrative konnten unterhaltsam und identitätsstiftend die Form von Heldendichtungen annehmen, gleichzeitig ökonomische Konnotationen transportieren und so auf mehreren Kommunikationsebenen den Eliten die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von Kriegen vor Augen führen. Diese Funktion behielt das Mythologem über Jahrhunderte hinweg bei. Etwa eineinhalb Jahrtausende nach den Feldzügen der Könige von Akkad (Zeit: "Inanna und Ebich") griff ein anderer Sargon, Sargon II. von Assyrien, das Motiv vom arroganten Bergbewohner wieder auf. Erneut wird die Arroganz des Hochländers als Auslöser des Konflikts in den Vordergrund gestellt.
Wenn aber die mesopotamischen Heere den Barbaren aus dem Gebirge unterlagen, kam ein anderes Erklärungsmodell zum Einsatz, das der „Geißel Gottes“. Ausgehend von der – historisch nicht gesicherten – Zerstörung der Stadt Akkad um 2100 v.u.Z. durch Truppen der Gutäer aus dem Osttigrisland wird diese Deutung erstmals in der sumerischen Dichtung „Fluch über Akkad“ zum Ausdruck gebracht. In diesem Text schickt der Gott Enlil – wütend über die Zerstörung seines Tempels durch Naram-Sîn von Akkad – die Gutäer nach Mesopotamien, um im gesamten Land zu wüten. Enlils Zorn besänftigt sich erst wieder, als die Götter kollektiv Akkad verfluchen. Daraufhin zerstören die Gutäer Akkad und lassen das übrige Land in Ruhe.
https://www.academia.edu/33703361/2014_Die_Arroganz_der_Barbaren_pdf
Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Akkad
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