Die Keilschrifttexte geben keine Auskunft zur Frage, warum das Klagen von der weiblichen Sphäre dominiert wird. Auch die Beziehung zwischen irdischer Rollenverteilung und dem literarischen Motiv der Klagenden Göttin bleibt undefiniert. Allerdings sind im 3. Jt. v.u.Z. Frauen belegt, die bei Trauerriten klagten. Diese Frauen werden als dam ab-ba „Frau des Väterchens“, um-ma ir2-ra „Mütterchen der Träne“ oder ama ir2-ra„ Mutter der Träne (= Klage)“ bezeichnet. In Urkunden wird für sie zusammen mit den Klagesängern (gala) Lohn für das „Vergießen von Tränen“ beim Begräbnis der Gattin des IriKAgina/Urukagina (ca. 2350 v.u.Z.) vermerkt.
Auch in Statue ‚B‘ des Herrschers Gudea (ca. 21. Jh. v.u.Z.) werden Klagefrauen neben den Klagesängern erwähnt:
„Der Klagesänger brachte die Harfe/Trommel (balaĝ) nicht, vergoss keine Träne, die ‚Mutter der Träne‘ sprach keine Klage (‚Träne‘) aus"
Der Terminus ama ir2-ra wurde auch in die akkadische Bezeichnung ama’irrakūtum – wörtlich „die Mutter der Tränenschaft“ – als allgemeiner Ausdruck für ‚Klagelied‘ entlehnt.
Auch wenn sich keine direkte Abhängigkeit zwischen Klagen der Göttin und Klagefrau etablieren lässt (gab es zuerst die Klagefrau oder das Motiv der Klagenden Göttin?), scheint das Weinen der Klagefrauen bei Begräbnissen, das Weinen der Göttin mit als endgültig dargestelltem Verlust und die Frauen- und Klagesprache Emesal der Göttin gewisse Verbindungen zueinander aufzuzeigen. Nicht zuletzt wird der Bezug auf die „Mutter“ sowohl bei den Klagefrauen als auch bei den Göttinnen nicht willkürlich gewählt worden sein.
Im Lauf der Zeit übernahmen jedoch die gala, die Klagesänger, das Klagen und brachten es in ein professionelles Umfeld, indem es bis ins 1. Jh. v.u.Z. hinein verblieb. Wann die Beschränkung auf diese Priesterart abgeschlossen war, ist nicht geklärt, aber schon zu Beginn des 2. Jts. v.u.Z. scheint ama ir2-ra nur noch literarischen Charakter zu tragen. Mit der Übernahme der Klagen übernahmen die gala-Priester gleichzeitig das Emesal, die Sprache der Frauen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen