Im 3. Jahrtausend v.u.Z. sind in Mesopotamien Phänomene feststellbar, die «plötzlich», d. h. ohne Vorläufer, in sehr kurzer Zeit oder als Bruch mit den eigenen Traditionen entstanden zu sein scheinen. Zu diesen Phänomenen gehören z.B. die Beterstatuen und Weihplatten der EDII-Zeit Mesopotamiens (ca. 27. Jahrhundert v.u.Z.), die Vergöttlichung des Königs und Elemente der Kunst der Akkad-Zeit (ca. 24. Jahrhundert v.u.Z.) sowie die Entstehung des gestuften Monumentalbaus in der Ur-III-Zeit (ca. 21. Jahrhundert v.u.Z.)
Wenn von Beziehungen zwischen Mesopotamien und Ägypten die Rede ist, kommen meist zwei Zeiten zur Sprache: die Uruk-Zeit im 4. Jahrtausend und die Amarna-Zeit im 2. Jahrtausend v.u.Z.. In der Uruk-Zeit stand Ägypten über Syrien in Kontakt mit dem mesopotamischen «Uruk-System». In der Phase Naqada II bis III (ca. Ende 4. Jahrtausend v.u.Z.) bedienten sich die ägyptischen Eliten aus dem Fundus der mesopotamischen Uruk-Kultur. Repräsentative Gattungen wie Rollsiegel, Schrift oder Nischenarchitektur sowie einzelne Motive wurden zum Zweck der Selbstdarstellung übernommen. Mit dem Uruk-System endete vorerst auch Mesopotamiens weitere Ausstrahlung.
In der Mitte des 2. Jahrtausends v.u.Z. zeigt sich in den schriftlichen Quellen die Machtbalance zwischen den mesopotamischen, hethitischen, hurritischen, assyrischen und ägyptischen Reichen. Im Gegensatz zu den Befunden für das 4. bzw. das 2. Jahrtausend scheinen sich im 3. Jahrtausend v.u.Z. keine direkten Beziehungen feststellen zu lassen. Die politischen Konstellationen und Interessen sind jedoch mit denen des 2.Jahrtausends vergleichbar.
Ab der ED-II-Zeit wurden womöglich von Mesopotamien Denkmälergattungen und Motive für den Totenkult aus Ägypten übernommen und an die zentralen Themen des eigenen Totenkultes angepasst.
Die Konzeption der Gottessohnschaft des Königs, die während der ED-III-Zeit vorübergehend in Mesopotamien greifbar wird, ist in Ägypten seit der 4. Dynastie (ca. 27. Jahrhundert v.u.Z.) fester Bestandteil der Königstitulatur bzw. -ideologie ist. Außerdem ist die Vergöttlichung des Königs eine der ideologischen Grundkonstanten in der ägyptischen Kultur, die womöglich in Mesopotamien im Verlauf der Akkad-Zeit übernommen wird.
Die Schaffung eines Monumentalbaus für die ideologisch zentralste Figur des Systems ist in Ägypten die Pyramide für den göttlichen König, in Mesopotamien ist es ab der Ur-III-Zeit die sogenannte «Ziqqurat», der mehrstufige Tempelbau für die wichtigsten Gottheiten.
Die mesopotamischen Beterstatuen sind formal und funktional mit den Statuen vergleichbar, die in ägyptischen Gräbern aufgestellt wurden, um den Verstorbenen zu repräsentieren. Während in Ägypten die Entstehung und Entwicklung dieser Motive zeitlich weit zurück verfolgbar ist, taucht der Komplex Beterstatuen, Weihplatten (+Motive) sowie die Bankettszene in Mesopotamien vollständig ausformuliert während der ED-II-Zeit auf. Der Befund legt nahe, dass Mesopotamien die Innovationen aus Ägypten übernahm.
Vor der ED-II-Zeit waren die mesopotamischen Gräber mit Grabeigaben in Form von Naturalien, Trink- und Essgeschirr ausgestattet. Das Hauptmotiv auf den frühesten Weihplatten (Ed-II) Mesopotamiens zeigt die Darbringung eines Trunkes, die oft mit Musikern und Tänzern ergänzt wird, in zusätzlichen Bildfeldern sind oft Gabenbringer dargestellt und manchmal Wagen oder ein Boot. In einigen Gräbern wurden auch richtige Wagen mit Zugtieren oder Modellboote mitgegeben. Die ältesten, stratigraphisch gesicherten Weihplatten Mesopotamiens gehören in die Phase ED-II.
Die in Mesopotamien auf den Weihplatten verwendeten Motive finden sich alle im Bildfundus der ägyptischen Grabreliefs. Sie tauchen allerdings in Mesopotamien fertig formuliert auf, während in Ägypten eine länger dauernde Entwicklung feststellbar ist.
Oskar Kaelin, University of Basel
Bild: https://cdli.ucla.edu/search/archival_view.php?ObjectID=P222854
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