Für die Bewohner Sumers bedeutete Bier ein unverzichtbares Lebensmittel, das sie in bekömmlicher Form mit hochwertigen Nährstoffen, mit notwendigen Vitaminen, vor allem Vitamin B, mit Spurenelementen, darunter Kieselsäure, versorgte. Bier sowie Fluss- und Grundwasser bildeten die einzigen weit verbreiteten Getränke, deren man in der Hitze doch so sehr bedurfte. Doch anders als Wasser war das Bier durch sein saures Milieu (pH < 4,5) frei von pathogenen Keimen und wirkte sogar entzündungshemmend. Bier wurde damals wie heute aus Gerste hergestellt.
Entsprechend der Präsenz von Bier liegen unzählige Keilschriftquellen jeder Art für Bier, Brauen und Biertrinken vor, die die sumerische Bierkulturerahnen lassen.
Doch in manchen Fällen gelang es nicht, die zentralen Text zum Bierbrauen (Ninkasi-Hymne und Trinklied von Civil 1964) mit dem aus anderen Quellen gewonnenen Befund oder mit den experimentell erzielten Ergebnissen in Einklang zu bringen.
Das bildete den unmittelbaren Anlass für eine neue Bearbeitung der Ninkasi-Hymne.
Die Konzentration liegt auf sumerische Quellen des späten dritten und frühen zweiten Jahrtausends, denn es wurden regional und zeitlich unterschiedliche Braumethoden angewandt, wie bspw. das anderes geartete neubabylonische Dattelbier. Doch für den Zeitraum von der frühdynastischen bis zur altbabylonischen Zeit zeichnen sich gemeinsame Prinzipien der Bierproduktion ab.
Bier (sumerisch kaš, akkadisch šikaru) wurde demnach aus zwei aus Gerste hergestellten Ausgangsprodukten, Malz (munu,buqlu) und einem traditionell als „Bierbrot“ übersetzten Sauerteig(brot) (babir, bappiru), bereitet; außer dem meist hinzugefügten Mehl oder Schrot aus Gerste, gelegentlich auch aus Emmerweizen, finden sich keine weiteren Zutaten. Charakteristisch für das Bier Babyloniens ist das aus der Maische (bzw. dem Treberkuchen) gewonnene trockene „Gemisch“, ein Trockenbier, mit dem man sich jederzeit ein frisches Bier anrühren konnte.
Civil 1964 deutet babir2 in Z. 14/16 als gekochte Mischung von Teig und aromatischen Kräutern, nach Z. 34/36 seien Honig und
Wein hinzugefügt worden. Dies widerspricht dem Zeugnis der zahlreichen Verwaltungsdokumente von der altsumerischen bis zur altbabylonischen Zeit, die allein Gerste, manchmal zusätzlich auch Emmer, als Ausgangsmaterial für die Bierbereitung vermerken und die bei den oft großen Mengen in der Bierbereitung jedes weitere Gewürz oder Honig (als teure Importprodukte) hätten notieren müssen.
Die Ninkasi-Hymne liegt auf drei Tontafeln vor. In allen drei Manuskripten folgt unmittelbar auf die "Ninkasi-Hymne" das "Trinklied". In Manuskript A folgt Dumuzi-Inanna E mit der Unterschrift lautet: „es sind zwei Wechsellieder der Inanna“, womit die Ninkasi-Hymne und dasTrinklied als ein einziger Text und als Text für Inanna angesprochen ist. In Manuskript B, dem einzigen aus Nippur, gehen vier Lieder aus dem Dumuzi-Inanna-Kreis voran. Die Vergesellschaftung mit einem Lied auf Inana in und weiteren Liedern im Nippur-Exemplar zeigt, dass es sich um ein verbreitetes Liedgut handelt, wobei man den Anlass dem Thema entsprechend eher bei Volksfesten oder deren Vorbereitung und nicht im Tempelkult suchen möchte.
In der Ninkasi-Hymne wird das Bierbrauen aus der Perspektive der Braueringeschildert, die mit der Bereitung des Sauerteigs beginnt, das Malz vom Mäl-zer erhält, aus der Maische dann das Trockenbier und schließlich das fertigeGetränk gewinnt. Dabei werden die einzelnen Schritte des Brauvorgangs in poetischen Bildern reflektiert.
1 Die von strömendem Wasser hervorgebrachte, [...],
2 die von (der Muttergöttin) Ninḫursaĝa zuverlässig betreute,
3 Ninkasi, die von strömendem Wasser hervorgebrachte, [...],
4 die von (der Muttergöttin) Ninḫursaĝa zuverlässig betreute,
5 deine Stadt, zu Honigwaben auf die Erde gesetzt:
6 ihre großen Feste hat sie (Ninḫursaĝa) für dich vollendet;
7 Ninkasi, deine Stadt, zu Honigwaben auf die Erde gesetzt:
8 ihre großen Feste hat sie (Ninḫursaĝa) für dich vollendet.
9 Deine Mutter (ist) Nintil („Herrin Leben“), die Herrin im Abzu,
10 dein Vater (ist) Enki, der Herr Nudimmud.
11 Ninkasi, deine Mutter (ist) Nintil („Herrin Leben“), die Herrin im Abzu,
12 dein Vater (ist) Enki, der Herr Nudimmud.
13 Dein aufgehender Teig, wurde der mit der stattlichen Spatel geformt,
14 ein Aroma von weichem Honig, der durchmischte Sauerteig,
15 Ninkasi, dein aufgehender Teig, wurde der mit der stattlichen Spatel geformt,
16 ein Aroma von weichem Honig, der durchmischte Sauerteig,
17 deine Sauerteig(klumpen), wurden sie im stattlichen Ofen gebacken,
18 sind sie sauber angeordnete Garben von gunida-Emmer.
19 Ninkasi, deine Sauerteig(klumpen), wurden sie im stattlichen Ofen gebacken,
20 sind sie sauber angeordnete Garben von gunida-Emmer.
21 Dein Malz, wurde der Grieß bereitgelegt, Wasser hineingegossen,
22 ist es Ungeziefer von der Art sich zu krümmen und zu kringeln.
23 Ninkasi, dein Malz, wurde der Grieß bereitgelegt, Wasser hineingegossen,
24 ist es Ungeziefer von der Art sich zu krümmen und zu kringeln.
25 Deine(r) Maische, wurde im Gefäß Wasser dazugegeben,
26 sind es Wellen, die sich heben, Wellen, die sich senken.
27 Ninkasi, deine(r) Maische, wurde im Gefäß Wasser dazugegeben,
28 sind es Wellen, die sich heben, Wellen, die sich senken.
29 Dein Treberkuchen, ist er auf einer stattlichen Matte ausgebreitet,
30 ist er die Sanftmut, die den Gott ergriffen hat.
31 Ninkasi, dein Treberkuchen, ist er auf einer stattlichen Matte ausgebreitet,
32 ist er die Sanftmut, die den Gott ergriffen hat.
33 Dein großes Trockenbier, liegt es verarbeitet bereit,
34 ist es Honig und Wein, die gemeinsam Saft geben.
35 Ninkasi, dein großes Trockenbier, liegt es verarbeitet bereit,
36 ist es Honig und Wein, die gemeinsam Saft geben.
37 Was...
38 ist dessen Trockenbier, das sie in die Hand nahm.
39 Ninkasi, was...
40 ist dessen Trockenbier, das sie in die Hand nahm.
41 Damit das Lochbodengefäß laut tönt,
42 hast du es auf einem stattlichen Bier-Pithos hergerichtet.
43 Ninkasi, damit das Lochbodengefäß laut tönt,
44 hast du es auf einem stattlichen Bier-Pithos hergerichtet.
45 Dein Filterbier, hat sich in den Bier-Pithos ergossen,
46 ist es, als hätte man auf Euphrat und Tigris geachtet.
47 Ninkasi, dein Filterbier, hat sich in den Bier-Pithos ergossen,
48 ist es, als hätte man auf Euphrat und Tigris geachtet.
Die Einleitung (1-12) beschreibt die Stadt, auf die sich wohl schon die erste Strophe bezieht: das reichlich strömende Wasser ermöglicht das Leben und damit die Ansiedlung von Menschen, den von der Muttergöttin geborenen, die trinken; und mit den ersten Worten „strömendes Wasser“ wird auch schon auf die Flüssigkeit Bier verwiesen. Für die mit Häusern eng bebaute Stadt wird das einmalige, aber reizvolle Bild der „Honigwabe“ gebraucht, kunstvoll aneinandergefügte Zellen, in denen Leben steckt. Das damit mitschwingende Bild des Honigs spricht den Geschmackssinn an, der beim Thema Bier im Zentrum steht, und noch zweimal erscheint in den folgenden Zeilen diese erlesene, kostbare Speise. Honig ist in der Ninkasi-Hymne und darüber hinaus in der altbabylonischen Literatur der gängige metaphorische Ausdruck für eine besondere Delikatesse, eine „Leckerei“. Das Vorkommen von Honig muss als literarisches Bild aufgefasst werden. In der Übersetzung von Civil 1991-2007 hingegen war dieser poetische Ausdruck wörtlich genommen worden.
Die Stadt ist zudem der Ort großer Feste, bei denen das zu brauende Bier ausgeschenkt wird; und das anschließende Trinklied endet in einem solchen Fest, auf das hier in der zweiten Strophe angespielt wird. „Deine Stadt“ ist also nicht ein Kultort Ninkasis, sondern jede Stadt wird beim gemeinsamen Trinken zu einem Ort der Biergöttin.
Die Zeilen 13-16 behandelt das Formen des Sauerteigs, die Zeilen 17-20 dessen Trocknen im Ofen. Babir („bappir“), akk.bappiru, „Sauerteig“ wurde aus Gerstenschrot hergestellt und bildete neben Malz die zweite Hauptzutat des altmesopotamischen Biers. Es gab damals keine reine „Hefe“, sondern Sauerteig wurde als Ausgangspunkt der Fermentation beim Bierbrauen gebraucht.
Die im Ofen liegenden Sauerteigklumpen werden im literarischen Bild mit gu2-nida-Emmer verglichen: die Sauerteigklumpen sind im Ofen aufgereiht wie Emmer-Garben auf dem Feld oder dem Dreschplatz.
Das Trocknen oder Backen von Sauerteig ist auch in anderen literarischen Texten belegt:
"Mutterschaf und Getreide":
116 Zum zweiten Mal sprach das Getreide zum Mutterschaf:
117 „Hat sie den Sauerteigbrot im Ofen betreut,
118 hat sie den Treberkuchen im Ofen aufgerichtet,
119 dann wird Ninkasi das für mich vermischen.“
Das „Backen“, ein Trocknen von großen Sauerteigklumpen, führte dazu, dass der Sauerteig haltbar und somit lagerfähig war. Später konnte dieser getrocknete Sauerteig durch die Zugabe von Wasser und Mehl oder Schrot erneut aktiviert werden
In den Zeilen 21-24 wendet sich der Dichter dem Malz zu. Durch den Prozess des Mälzens, das künstlich hervorgerufene Keimen des Gerstenkorns, werden auf natürlichem Weg Enzyme aktiviert, die die unlösliche Stärke des Korns zu vergärbaren Zuckern abbauen können. Die gekeimte Gerste, das Grünmalz, heißt auf Sumerisch
„Malz, bei dem das Horn (= der Wurzelkeimling) herauskommt“. Die Hitze und Trockenheit des Orients erlauben es, dass man das Grünmalz einfach auf den Dächern der Häuser (oder auf einer anderen Fläche) ausbreitet, und die Hitze der Sonne unterbricht den Keimvorgang und erfüllt die Aufgabe des Darrens. Das gedarrte Malz wurde geschrotet bzw. das Grünmalz gemörsert, damit beim Maischen, dem Vermengen des Malzschrots mit Wasser, die beim Mälzen gebildeten Enzyme die unlöslichen Getreideinhaltsstoffe leichter angreifen können.
Der Brauer übernimmt das geschrotete Malz und weicht es in Wasser ein (Zl. 25-28). Das Bild verweist auf „Insekten, Ungeziefer“ (Zl.22), wobei dieses Ungeziefer sich „krümmt, kringelt“. Wahrscheinlich erklärt das vorangegangene Mälzen das gewählte Bild: bei der Weiche, bei der die zu keimende Gerste zur Feuchtigkeitsaufnahme in Wasser eingerührt wird, schwimmen auf der Oberfläche die verletzten, hohlen Körner und auch Ungeziefer und Staub und Dreck.
Bild: https://cdli.ucla.edu/search/archival_view.php?ObjectID=P342964
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