Aus der Urzeit der Speiseszene
Oskar Kaelin
Hefte des Archäologischen Seminars der Universität Bern 21 (2009), 95–107.
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Die Entwicklung und Verbreitung des Motivs, das als «Bankett-», «Opfertisch-», «Speisetisch-», oder «Speiseszene» bezeichnet wird, lässt sich in der altorientalischen und ägyptischen Welt ab dem 3. Jahrtausend v.u.Z. verfolgen. Das Motiv diente der visuellen Verewigung der Versorgung einer verstorbenen und/oder göttlichen Person.
Verbreitung
1. Die Speiseszene, die eine oder mehrere auf einem Stuhl sitzende Person(en) an einem Tisch mit Gaben zeigt, entstand im frühen 3. Jahrtausend v.u.Z. in Ägypten.
2. In einem ersten Verbreitungsschub erreichte sie Mesopotamien und den Westiran (Susa), wo sie im Verlauf des frühen 2. Jahrtausends v.u.Z. wieder verschwand.
3. Im frühen 2. Jahrtausend v.u.Z. erreichte das Motiv von Ägypten und Mesopotamien aus über die Levante auch Kleinasien und das Kaukasus-Gebiet.
4. In den späthethitischen Stadtstaaten des 1. Jahrtausends v.u.Z. erfreute sich die Speiseszene einer gewissen Beliebtheit. Von hier aus wurde sie im 7. Jh.v.u.Z. auch nach Südarabien vermittelt.
zu 1.: In Ägypten lässt sich ab der Naqada II C/D-Zeit (ca.3650 v.u.Z.) ein gesteigerter Aufwand von Arbeit, Zeit und Ressourcen bei Bestattungen feststellen, bei dem bald auch bildliche Mittel zum Einsatz kommen. Mit der 1. und 2. Dynastie (ab ca. 3000 v.u.Z.) wurde die Versorgung des Toten nicht mehr nur durch Beigaben gewährleistet, sondern auch durch Darstellungen auf Rollsiegeln oder Steinplatten, die diese Versorgung bild-magisch festhalten und verewigen.
Ab der 3. Dynastie (ca.2740 v.u.Z.) wurde in den Mastaba-Gräbern die Versorgung des Toten erweitert. Grossflächige Reliefzyklen mit Darstellungen von Gabenbringern, Tierzucht und Landwirtschaft, Kochen, Backen, Schlachten, Schifffahrten, aber auch Musik, Tänzen, Spielen u.v.m., dienten der ewigen Versorgung und Zufriedenstellung des Verstorbenen in seinem Grab — seinem Haus für das Jenseits.
zu 2.: Einige Ideen zur Versorgung des Toten wurden in Mesopotamien ab der Frühdynastisch II-Zeit (ab ca. 27. Jh. v.u.Z.) aus Ägypten übernommen und angepasst. Weihplatten und Beterstatuen wurden mit vergleichbarem Zweck in Tempeln aufgestellt: sie repräsentierten die Verstorbenen und empfingen für diese die vom Tempel verwalteten Opfergaben. Dass die Idee, die Versorgung des Toten auf Weihplatten und mit Statuen im Bild materiell festzuhalten und zu verewigen, aus Ägypten übernommen wurde, lässt sich nicht nur über die vergleichbare Funktion feststellen: Auch sämtliche Motive auf den frühen Weihplatten der frühdynastischen Zeit finden sich zuerst in den ägyptischen Mastaba-Gräbern hoher Beamter, so z.B. Speiseszene, die Darbringung von Opfergaben, Tanz und Musik, Ringkämpfe u.v.m.. Ebenso lassen sich ägyptische Vorbilder zu sämtlichen Typen von Beterstatuen finden.
zu 3.: Im frühen 2. Jt. v.u.Z. ist in der Levante ein Interesse an mesopotamischen und ägyptischen Bildideen festzustellen, die bis Kleinasien ausgreifen. Die Speiseszene tritt im westlichen Vorderasien mit Zentrum Nordwestsyrien auf, z.B. auf Siegeln aus Yamhad, Karkamisch und Kültepe II. Statuen aus Ebla, die Sitzende mit einem Gefäss und manchmal einer Pflanze in der Hand zeigen, nehmen die Ikonographie der mesopotamischen Beterstatuen und wohl auch deren Funktion auf.
Bereits im frühen 2. Jahrtausend v.u.Z. erreicht die Speiseszene — wohl entlang der wichtigen Metallhandelsrouten — die Kaukasus-Region. Wir finden Speiseszenen auf silbernen Bechern aus Kurgan-Gräbern in Karashamb (Armenien) und Trialeti (Georgien).
Während des späteren 2. Jahrtausends v.u.Z. ist die Speiseszene in der Kunst der Hethiter, des Mitanni-Reiches oder der mittelassyrischen Zeit eher selten belegt. Dennoch erreichte sie in dieser Zeit die mittelelamische Glyptik. Im 12. Jahrhundert v.u.Z. begegnet sie uns auf Elfenbeinen aus Megiddo.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trialeti_silver_cup_1.JPG
Jonathan Cardy, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons
zu 4.: Im 1. Jahrtausend v.u.Z. ist das Motiv in der syro-levantinischen Elfenbein- und Metallkunst beliebt, seltener auf Siegeln. Zwischen dem 11. und 8. Jh. v.u.Z. .ist die Speiseszene auf Reliefs des syro-hethitischen Raums oft zu finden. Bekanntestes Beispiel unter den neuassyrischen Reliefs ist die oft zitierte Darstellung von Assurbanipal in der «Gartenlaube». Die Deutung als «Königin bei liegendem König» kann allerdings bezweifelt und eine alternative Interpretation als «sitzender, unbärtiger Prinz beim liegenden König» plausibel gemacht werden. Dadurch wird aus der idyllischen, familiären Gartenlaubenszene — mit dem schwer erklärbaren Kopf eines Feindes im Geäst eines Baumes und Waffen hinter dem Bett des Königs — eine politisch aufgeladenen Hofszene, bei der es vielleicht um die Weitergabe der Amtsgeschäfte oder gar um die Tronübergabe des liegenden, alternden Herrschers an seinen Nachfolger geht.
Trotz der kompositorischen Ähnlichkeiten fehlt bei dieser Darstellung der für das Speisethema zentrale Versorgungsgedanke, und trägt zum Verständnis der anderen Speise-Darstellungen nichts bei. Im 1. Jahrtausend v.u.Z. sind Speiseszenen auf neu-babylonischen Siegeln und einigen Luristanbronzen bekannt.
Die Speiseszene gelangte etwa im 7. Jh. v.u.Z. von Nordsyrien nach Südarabien. In einem Tempel in es-Sawdā (Jemen) wurden auf zwei Monolithen mehrere Darstellungen angebracht, die zwei Personen an einem Tisch zeigen. Auf dem Monolith B können dank der altsüdarabischen Beischriften die dargestellten, männlichen Paare als Götter identifiziert werden.
Im 1. Jahrtausend v.u.Z. sind Ägypten und die späthethitischen Fürstentümer die häufigsten Anwender der Speiseszene im Rahmen des Totenkultes. Ab dem 5. Jh. v.u.Z. finden wir das Motiv in neuem Stil auf den Totenmahlreliefs der hellenistischen Welt.
Bei den Darstellungen der Speiseszene lässt sich zwischen Ägypten und Vorderasien ein zentraler Unterschied feststellen:
— In Ägypten wird die gesamtheitliche Versorgung des Verstorbenen in verschiedensten Varianten gezeigt, z.B. mit Nahrung, Getränken, Kleidung, aber auch deren Herstellung.
— Durch Darstellung eines Bechers in der Hand des Opferempfängers wird die Versorgung durch ein Getränk ins Zentrumgerückt, da in der mesopotamischen Vorstellung das Jenseits ein Ort ewigen Durstes ist.
Ein Denkmal zur eigenen Vorsorge ist die Stele des Kuttamuwa aus Zincirli (8. Jh. v.u.Z.). Sie zeigt eine Speiseszene mit einem auf einem Stuhl sitzenden Mann. In der einen Hand hält er eine Schale. Die Inschrift besagt: «Ich, Kuttamuwa, Diener Panamuwa, bin derjenige, der die Herstellung dieser Stele zu Lebzeiten selbst beaufsichtigt hat. Ich stellte ihn in eine ewige Kammer(?) und veranstaltete in dieser Kammer(?) ein Festmahl: einen Stier für den Sturmgott Hadad, … einen Widder für den Sonnengott Shamash, … und einen Widder für meine Seele, das heißt in dieser Stele.…».
Dank der Inschrift erfahren wir, dass diese Stele zu Lebzeiten des Dargestellten in Auftrag gegeben und aufgestellt wurde, und dass die Seele des Verstorbenen, die es zu Versorgen galt, darin wohnt. Dargestellt ist auch der Verstorbene selbst als Versorgter mit Speisetisch.
Bild: Kuttamuwa-Stele, Zincirli, 8. Jh. v.u.Z. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gaziantep_Archaeology_museum_Kuttamuwa_stele_4270.jpg
Dosseman, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons
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