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Konzepte des mesopotamischen Königtums



„Als das Königtum vom Himmel herabkam“ – so beginnt die „Sumerische Königsliste“ und macht damit unmissverständlich klar, dass das Königtum keine soziale Errungenschaft des Menschen ist, die er nach Belieben wieder beseitigen kann. Im mesopotamischen Selbstverständnis ist nicht nur der Mensch von den Göttern erschaffen worden, sondern auch die hierarchische Struktur seiner Gesellschaft.

Der sumerische Stadtstaat des 3. Jahrtausends v.u.Z. zeigte andersgeartete Herrschaftsstrukturen als der babylonische Flächenstaat des 2. Jahrtausends v.u.Z. oder gar das assyrische Großreich des 1. Jahrtausends v.u.Z.. Die „Sumerische Königsliste“, eine Kompilation lokaler Herrscherlisten, die in
der Zeit der III. Dynastie von Ur um 2000 v.u.Z.. erschaffen wurde, suggeriert unabhängig von der politischen Realität die Fiktion eines singulären Königtums als Herrschaft über die gesamte Welt, die jeweils von den Göttern an eine Stadt vergeben wurde, beginnend mit der Erschaffung der Welt, des Menschen und der städtischen Zivilisation. Der König galt als "Hirte", daher dienten ihm, durch fast alle Perioden hindurch, Keule und Hirtenstab als Insignien.

Jedoch war nur die Institution, nicht aber der Amtsinhaber selbst unantastbar. Mit der Verleihung des Königtums an einen Herrscher verlangten die Götter, dass dieser bestimmten Pflichten nachkam. Auch die Untertanen durften dies von ihrem König erwarten. Kam er den von den Göttern gestellten Anforderungen und Pflichten seines Amtes nicht nach oder war er ihnen nicht gewachsen, geriet zwar nicht das Königtum, wohl aber der König in eine Legitimationskrise und konnte leicht seinen Ruf und bisweilen auch sein Leben verlieren. 

Frühsumerische Zeit (3600 – 3000 v.u.Z.)
Die Transformation der zunächst dörflichen Kultur des neolithischen Südmesopotamien in eine urbane Hochkultur, die spätestens um die Mitte des 4. Jahrtausends v.u.Z. abgeschlossen war, brachte komplexe Sozialstrukturen und – verbunden damit – auch Herrschaftsinstitutionen hervor. An die Stelle von Clanoberhäuptern und Stammeshäuptlingen traten Herrscher, deren Position ideologisch
fundiert, konzeptionell institutionalisiert und administrativ organisiert war.
In der Bildkunst des frühsumerischen Uruk tritt eine männliche Figur in prominenter Position in Erscheinung, die als Herrscher identifiziert wird. Gekennzeichnet ist sie durch eine spezifische Kopfbedeckung mit breitem Wulst, einen scheibenförmig gestalteten Bart bei ausrasierter Oberlippe und einen halblangen Rock, der bisweilen eine netzartige Binnenzeichnung aufweist. Da in
den Texten der frühsumerischen Zeit das Schriftzeichen „En“ sehr häufig belegt ist und eben dieses in der folgenden „frühdynastischen Epoche“ des 3. Jahrtausends v.u.Z. der offizielle Titel des Herrschers von Uruk war, wird die in der Bildkunst dargestellte Figur als "En" identifiziert.

Frühdynastische Zeit (3000 – 2250 v.u.Z.)
Die sogenannte frühdynastische Zeit ist von einer politischen Fragmentierung Mesopotamiens gekennzeichnet, während der die diversen Fürstentümer miteinander rivalisierten, ohne dass sich eine dauerhafte Hegemonialmacht hätte durchsetzen können. Der prestigeträchtige Titel eines „Königs von Kiš“, den auch Fürsten anderer Stadtstaaten beanspruchten, deutet zumindest auf eine
ideologische Vorrangstellung der nordbabylonischen Stadt Kiš hin, die in der „Sumerischen Königsliste“ für diese Zeit neben Uruk die meisten Dynastien stellte.
Der häufigste Titel für einen Herrscher war der des "Lugal" (Großer Mann), der zum Beispiel von den Herrschern von Ur, Kiš und Umma getragen wurde. Die Fürsten von Uruk und dem nordsyrischen Ebla trugen den Titel "En" (Herr), während sich die Fürsten von Lagaš und Šuruppak
Ensí (Fürst) nannten. Die Stellung der Familie innerhalb der Gesellschaft im Allgemeinen und die
des Herrschers bei der Erbfolge im Besonderen wird gegen Ende der Periode offenkundig immer bedeutender, sodass sich zusehends ein dynastisches Prinzip einstellt.

Agade und Ur III (ca. 2250 – 1950 v.u.Z.)
Das akkadische Königtum basierte einerseits auf dem Charisma des Reichsgründers und andererseits auf dem dynastischen Prinzip, aus dem seine Söhne ihre Legitimation zogen.Solche ein Charisma wurde in den babylonischen Quellen als „Schreckensglanz“, bezeichnet. Gesteigert wurde der Prozess der „Charismatisierung“ des Königtums unter Sargons Enkel Naram-Sîn, der aufgrund gewonnener Schlachten von den Bürgern seiner Stadt Agade zu ihrem Gott erhoben wurde.
Auch wenn das akkadische Reich unterging und hierin von den Bewohnern der sumerischen Städte die gerechte Strafe für die akkadische Hybris gesehen wurde, blieb das akkadische Herrscherprinzip auch für das folgende neusumerische Reich der III. Dynastie von Ur prägend.

Das babylonische Königtum
Spätestens mit der neusumerischen und der auf sie folgenden altbabylonischen Zeit (ab ca. 1950 v.u.Z.) hat sich das babylonische Königtum als eine Kombination des sakral-bürokratischen und des charismatisch-dynastischen Prinzips formiert. Als Titel setzte sich endgültig das sumerische
"Lugal" (akkadisch šarrum; „König“) vollständig durch und wurde um verschiedene Bezüge zu „König der Gesamtheit“, „König von Sumer und Akkad“ o. ä. erweitert.
Blieb die sakral-bürokratische Grundstruktur erhalten, so war nun aber das dynastische Prinzip dasjenige, das faktisch jeweils den erstgeborenen Sohn eines verstorbenen Herrschers auf den Thron brachte, selbst wenn er weitgehend untauglich war.
Jedes Jahr zum Neujahrsfest musste der König am fünften Tag der Festivitäten vor Marduk Rechenschaft darüber geben, wie er seine Untertanen behandelt hatte. Da es die grundlegende Aufgabe der Menschen war, den Göttern zu dienen und sie zu versorgen – eben aus diesem
Grund waren sie von den Göttern einst erschaffen worden –, oblag es dem König, diese Aktivitäten zu organisieren und sicherzustellen. Kam er dem nicht nach, galt er schon bald als Fehlbesetzung und sah sich einer nicht unerheblichen Opposition der Priesterschaft gegenüber, wie der letzte babylonische König Nabonid erfahren musste.

Der babylonische König war als "Hirte" Beschützer der Herden, als oberster Kanalaufseher war er für die Pflege und Instandhaltung, sowie für den Bau von Kanälen, die für die Landwirtschaft unabdingbar waren, verantwortlich. Zudem waren der Bau und die Erhaltung von Tempeln waren eine substantielle Aufgabe des Königs, ebenso wie die regelmäßige und ungestörte Durchführung der Kulte. Zeitlich begrenzt blieb in Babylonien die Darstellung des Königs als siegreicher Krieger, Triumphator, Verteidiger des Landes und Eroberer fremder Länder, die nur von der frühsumerischen bis zur altbabylonischen Zeit belegt ist und danach völlig in den Hintergrund tritt. In Assyrien mit seiner expansiven Reichsideologie blieb dieser Aspekt des Königtums von zentraler Bedeutung.
In babylonischen Inschriften gibt es aber durchaus Hinweise auf eine Fortführung von expansiven Feldzügen, wenngleich auch diese zusehends weniger werden. In der babylonischen Selbstpräsentation nimmt der Krieg ab der Mitte des 2. Jahrtausends v.u.Z. eine deutlich untergeordnete Rolle ein. Ganz im Gegensatz zu den Königen Assyriens.

Mit Ausnahme des Dynastiegründers ließen sich alle Könige der III. Dynastie von Ur vergöttlichen, ebenso zahlreiche altbabylonische Herrscher. Erst mit Hammurapi wurde die Vergöttlichung des Königs offiziell abgeschafft.


Assur
Seit dem 13. Jahrhundert v.u.Z. übernahm Assyrien zusehends die politische und militärische Oberherrschaft in Mesopotamien und drückte vor allem im 1. Jahrtausend v.u.Z. durch das Neuassyrische Reich dem gesamten Alten Orient seinen Stempel auf. In der Stadt Assur galt Gott Assur nicht nur als örtlicher Gott, sondern auch als König. Der (menschliche) Herrscher der Stadt galt in der lokalen Titulatur lediglich als "sangû" („[oberster] Priester“) und "iššiakku" („Statthalter“) des Gottes Assur. Außerhalb der Stadt dagegen konnte er jedoch einen Titel wie: „König der Gesamtheit“ führen.

Während der babylonische König einer mehr oder minder unabhängigen und bisweilen auch recht selbstständig auftretenden Priesterschaft gegenüber stand, war der assyrische König als oberster Priester selbst an der Spitze des Priesterstandes und musste von dieser Seite auch keinerlei Einschränkung seiner Macht hinnehmen.


Palast und Tempel
In Assyrien war die räumliche Konzeption der Stadt war auf den Palast und seine wichtigsten Räume hin ausgerichtet. Die Tempel und Paläste standen in enger Nachbarschaft zueinander, daher erschienen sie als bauliche Einheit, die hoch entrückt über der durch ihre Mauern eingefassten Stadt zu schweben schien. Die äußere Form der Hauptstädte näherte sich einem Quadrat oder Rechteck und wurde dadurch zu einem Abbild der Welt mit ihren „vier Weltecken“.

Auch babylonische Städte waren gewissermaßen Abbild der dem Staat zugrunde liegenden Ideologie, aber genau hierin kamen die Unterschiede zum assyrischen Nachbarn zum Ausdruck. Seit der Frühzeit der mesopotamischen Zivilisation lag im Zentrum einer jeden sumerischen und später babylonischen Stadt das Hauptheiligtum des jeweiligen Stadtgottes – gewissermaßen dem Besitzer der Stadt. Dieses Heiligtum setzte sich aus dem eigentlichen Tempel zu ebener Erde und einem künstlichen Stufenturm, dem Ziqqurat, mit dem darauf stehenden Höhenheiligtum zusammen. Das
Ziqqurat galt – wie die Namen der wichtigsten Beispiele verdeutlichen – als „Band von Himmel und Erde“ (Enlil-Ziqqurat in Nippur) oder als „Fundament von Himmel und Erde“ (Marduk-Ziqqurat
in Babylon). Durch diese verlief die vertikale Weltenachse in der babylonischen Kosmologie, die die verschiedenen Himmelszonen, die Erde und die Unterwelt miteinander verband. Der Königspalast als Wohnsitz und Residenz des irdischen Herrschers lag in babylonischen Städten in einer gewissen Distanz zu diesem religiös-kultischen Zentrum.

Doch nicht nur in der Gestaltung der städtischen Räume zeigte sich ein Unterschied zwischen dem babylonischen und assyrischen Königtum, auch in der Bildkunst war ein solcher vorhanden: Auffälligerweise verzichteten die babylonischen Könige ab Mitte des 2. Jahrtausends v.u.Z. auf zahlreiche ikonographische Konzepte, die zuvor von zentraler Bedeutung waren. Zumindest in der Großplastik sind uns ab dieser Zeit keine Kriegs-, Triumphator- oder Jagddarstellungen mehr
überliefert. Ganz anders dagegen die assyrische Bildkunst, die genau diese Sujets gerne aufgriff und zu zentralen Themen in der Ausstattung der Paläste machte.


Bild "Mann in Netzrock", ca. 3000 v.u.Z. https://de.wikipedia.org/wiki/Alter_Orient

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