nach: Michael P. Streck
„der das gigunû-Heiligtum der (Sonnen-)Göttin Aja mit Grün bekleidet hat.“ (Kodex Hammurapi ii 26–27)
Diese Stelle hat inzwischen eine Parallele
im altbabylonischen Epos Erra und Narām-Sîn. Narām-Sîn, König von Akkad, verspricht
dem in der babylonischen Stadt Kutha wohnenden Gott Erra:
„Dein kikunnû-Heiligtum will ich mit Grün bekleiden.“
Waetzoldt (2005) : In den präsargonischen Inschriften nannte man eine Hochterrasse mit dem Hochtempel Gi-gù-na, während dieser Begriff ab Gudea und Urnamma in der Ur-III-Zeit auf Stufenturm (= Ziqqurrat) mit Hochtempel eingeengt wurde.
In den beiden oben zitierten Textstellen aus altbabylonischer Zeit ist also von grünen Stufen- oder Tempeltürmen die Rede.
Lambert (1973) : Das 'Grün' waren entweder natürliche Bäume oder Darstellungen von ihnen, da der Gigunnû in frühen Texten als 'Wald' beschrieben wird.
Powell (1992) : ... Giguna (wird) häufig mit tir, 'Wald', assoziiert, (was) eine enge Verbindung zwischen Giguna und Bäumen (aufzeigt).
sumerische Belege aus Königsinschriften und
literarischen Texten des 3. und frühen 2. Jt. v.u.Z.:
- „Hochtempel (gi-gù-na) im heiligen Wald“ (Enmetena)
- „den Hochtempel der Göttin Ninmaḫ im heiligen Wald" (Irikagina)
- „seinen geliebten Tempelturm in duftenden
Zedern“ (Gudea Statue B)
Waetzoldt (2005) führt neben einigen bereits genannten
sumerischen Textstellen weitere an, aus denen „eindeutig“ hervorgehe, „daß das
Giguna in einem ‚Wald‘ lag bzw. selbst mit Bäumen bestanden war“. So bezeichnet
Gudea Zylinder B 4 den
Ninĝirsu-Tempel Eninu als „grünes Gebirge“, nach Waetzoldt „die
mit Bäumen bepflanzte Ziqqurrat“.
Im Mythos ‚Enki und die Weltordnung‘ Z. 202–204
wird gesagt: „Die Anuna, die großen Götter, … im Tempelturm unter deinen einzigartigen (einzelnen?) Bäumen,
speisen sie.“
Alle diese Belege führen Waetzoldt zu dem Schluss:
Die Ziqqurrate waren begrünt; man hatte wohl Bäume auf die einzelnen Stufen des Tempelturms
gepflanzt. Weitere Bäume wuchsen in den Höfen und um den gesamten Tempelkomplex herum.
Legen bereits die im Vorangehenden angeführten sumerischen Texte nahe, dass mit
„Grün“ im Kodex Hammurapi und im Epos ‚Erra und Narām-Sîn‘ Bäume oder allgemeiner Pflanzen gemeint sind, so wird dies bei einem Blick in das akkadische Lexikon
zur Gewissheit. Das gut belegte Substantiv warqu bezeichnet nämlich ausnahmslos
Vegetation und an keiner einzigen Stelle Imitationen derselben oder andere Artefakte
von grüner Farbe.
Lediglich das
Adjektiv warqu überträgt die Farbbezeichnung „grün-gelb“ von Pflanzen auf andere
Dinge wie Gewänder, Mineralien oder Körperteile. Damit „bekleiden“ Hammurapi
und Narām-Sîn den Tempelturm ohne Zweifel mit realen Pflanzen.
šulbušu „bekleiden“ wird sonst mit Gebäuden oder Gegenständen als Objekt gebraucht, die mit wertvollen Materialien überzogen oder verkleidet werden, oder mit
Menschen, Bergen und Ungeheuern als Objekt, die von Schrecken(saura) umgeben
oder von Krankheit befallen sind. Würden die Tempeltürme weitläufig von einem
Wald umgeben werden, würde man demnach kaum das Verb šulbušu verwenden. Vielmehr zeigt die Verwendung von šulbušu, dass die Stufentürme dicht mit Bäumen
oder Vegetation bestanden sind, die das Bild eines grünen „Kleides“ hervorrufen. Ob
nur die unterste Terrasse der Tempeltürme oder auch die oberen Stufen mit Pflanzen
„bekleidet“ sind, ist damit zwar nicht gesagt; die oben genannten sumerischen Belege
für das „grüne Gebirge“ und die Speisung im gigunû „unter Bäumen“ sprechen jedoch
eher für letzteres.
Die Annahme von direkt in den Lehm gesetzten Pflanzlöchern ist abwegig, jedoch ist die Verwendung von Asphalt und Mörtel zur Abdichtung gegen Wasser aus dem Alten Orient bekannt.
Nebukadnezars II.: „zwischen ihnen (den Stadtmauern) errichtete ich ein Ziegelwerk aus gebrannten Ziegeln hoch
wie einen Berg [und] einen großen Wohnbereich mit gigunûs […].“
Die
Vermutung liegt nahe, dass die gigunûs hier eine Anlage von übereinander angelegten Terrassen darstellen, die dem privaten Wohnbereich des Palastes
angehörten. ? Die Nebukadnezar-Inschriften
selbst geben darüber keine Auskunft, und auch der archäologische Befund der Stadt
Babylon stellt bislang keine Hilfe bei der Funktionsbestimmung der Terrassenanlage
da. Jedoch lassen die im Vorangehenden gezeigte enge Verbindung von sumerischem
giguna mit Wald und Bäumen und noch mehr die altbabylonischen Belege für ein
mit Pflanzen bekleidetes gigunû es mindestens als möglich erscheinen, dass hier von
einer auf einem Unterbau errichteten, „berghohen“ königlichen Gartenanlage auf
zahlreichen Terrassen in der Hauptburg die Rede ist: den Hängenden Gärten von Babylon.
Bild: Ziggurat of Ur
Streck_19_Tempeltuerme.pdf (uni-leipzig.de)
File:Zig front right side.JPG - Wikimedia Commons
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