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Befestigte Siedlungen der Kupferzeit im Balkanraum

Stefan Čohadžiev, Raiko Krauß

Befestigte Siedlungen der Kupferzeit im Balkanraum – das Beispiel Sušina im Kreis Šumen, Nordostbulgarien


Der Begriff „Kupferzeit“ für die Zeit des 5. Jahrtausends v.u.Z. für den geografischen Raum zwischen Ägäis, dem nördlichen Karpatenbogen, Schwarzem Meer und Adria ist geprägt da die Verwendung von Kupfer, neben Gold, erstmals in größerem Maße nachweisbar ist. Die Begriffe Kupferzeit und Chalkolithikum (ebenso wie Kupferstein-zeit und Äneolithikum) sind hier ohne Weiteres als Synonyme auf-zufassen. Während bereits zuvor, während des Neolithikums, die Verwendung von Kupfermineralien für die Schmuckherstellung nachweisbar ist, sind spätestens ab der Wende vom 6. zum 5. Jahrtausend v.u.Z. an verschiedenen Orten im Balkanraum erste gegossene Kupfergegenstände nachweisbar. Die Zeit ab dem 48. Jahrhundert im Balkanraum ist charakterisiert durch das Auftreten von gegossenen Kupferschwergeräten, welche die neolithischen Stein-, Knochen- und Geweihgeräte und -Waffen ablöse. In dieser Zeit treten erstmals auch gegossene Schmuckgegenstände aus Gold auf, deren Zahl bis zur Mitte des 5. Jahrtausends in den Siedlungen, vor allem aber in reichen Grabausstattungen, exponentiell zunimmt. 

Zeitgleich anzusetzen ist die Entstehung von Wehr- und Befestigungsanlagen in diesem Raum. Die Entwicklung von Metallwaffen, die Herausbildung von Wehrbauten und direkte Spuren von Kampfhandlungen an menschlichen Überresten sind deutliche Hinweise auf ein erhöhtes Konfliktpotenzial in dieser Zeit. Dem Schwert als Kriegswaffe geht bereits eine etwa zweitausendjährige Entwicklung von verschiedenen Axt-, Beil-, Meißel- und Dolchtypen aus Kupfer voraus, deren Nutzung auch für den Kampf in bewaffneten Konflikten als gesichert gelten kann.

Der Tell oder Siedlungshügel ist eine besondere Wohnform der Kupferzeit im Balkanraum. Tellsiedlungen mit Umfassungsgräben oder Palisaden ließen bereits vermuten, dass auch fortifikatorische Gründe ausschlaggebend für die Konzentration der Besiedlung auf enger Fläche gewesen sein können. Eine neue Qualität in der Art der baulichen Sicherung von kupferzeitlichen Siedlungshügeln stellen sie umgebende Steinmauern dar. Damit erfüllen einige Tellsiedlungen des 5. Jahrtausends im Balkanraum bereits alle Kriterien einer Burg, eines in sich geschlossenen und befestigten Wohnplatzes. 

In der Zeit um das 48. Jahrhundert scheint das Leben friedlich verlaufen zu sein – die allermeisten Siedlungen sind unverbrannt und weisen nur vereinzelt teilverbrannte Häuser auf. Erst in der zweiten Phase der Kupferzeit, ab dem 46. Jahrhundert, treten grundlegende Änderungen im Siedlungssystem auf. Sehr wahrscheinlich liegen die Ursachen für diesen Wandel in einem erhöhten Aggressionspotenzial.

Im Zentralbalkanraum werden die Siedlungen auf natürlich gesicherte Anhöhen verlegt, die meist nur von einer Seite aus zugänglich sind. Häufig wird dieser Zugang durch Wehranlagen wie Gräben oder Wälle gesichert. Möglicherweise ist ein sich erhöhendes Sicherheitsbedürfnis ausschlaggebend für die nochmalige Verlagerung der Siedlungen im Spätchalkolithikum, etwa ab dem 45. Jahrhundert, nunmehr auf schwer zugängliche, nach allen Seiten hin abfallende Anhöhen, welche sich häufig auch weit abseits der Wasserquellen befinden. Grundlegend anders erfolgt die Sicherung der Siedlungen hingegen in Nordwestbulgarien, in der Oberthrakischen Ebene und in Ostserbien. Die Tellsiedlungen liegen zumeist in gut zugänglichen Gegenden und sind stattdessen durch sie umgebende Verteidigungsanlagen gesichert. Bereits etwa ab dem47. Jahrhundert treten in Nordostbulgarien Wehranlagen auf, innerhalb derer sich eine planvoll organisierte Wohnbebauung nachweisen lässt.

Die Beschränkung der Bebauung auf das mit Gräben, Wällen oder Palisaden gesicherte Areal hat zwangsläufig auch eine erhöhte Schichtakkumulation in diesen Bereichen zur Folge, was als maßgeblicher Grund für die Herausbildungen von Tellsiedlungen angesehen werden kann.

Auffällig ist die Vielfalt der kupferzeitlichen Wehrbauten und Befestigungsanlagen, was ein Anzeichen dafür sein könnte, dass es in dieser Frühzeit noch kein einheitliches „Konzept“ für die Anlage einer Burg gegeben hat. Wir kennen einfache Holzpalisaden, mit Lehm und Steinen verfüllte Doppelpalisaden (Emplekton), Lehm-Erde-Wälle, Grabenwerke und vielfältige Kombinationen dieser verschiedenen Bauwerke. Durch Grabungen der letzten Jahre konnten an mehreren Plätzen in Bulgarien Wehrbauten mit Steinmauern und Toranlagen nachgewiesen werden, die sicher in das 5. Jahrtausend datieren. Obwohl es vereinzelte neolithische Vorläufer gibt, scheint diese Häufung erst ein Ergebnis der Siedlungsentwicklung im Laufe der Kupfer-zeit zu sein. 

Bei Grabungen auf der Siedlung von Okolglava bei der Ortschaft Gniljane, Kr. Sofia, wurde auf einer Strecke von 16 m eine Steinmauer freigelegt. Die Mauer besteht aus massiven Sandsteinblöcken von 30–50 cm Länge und 20–30 cm Breite. Das Baumaterial wurde wahrscheinlich in unmittelbarer Nähe gewonnen. Die Mauer hatte eine Breite von 1 m. Bei den ersten Untersuchungen am Tell von Karanovo wurden drei Befestigungsringe aus Steinmauern erkannt.

Am Fundplatz Provadija-Solnicata z konnte erstmals die großmaßstäbliche Gewinnung von Salz nachgewiesen werden, welche bereits im Spätneolithikum einsetzte. Die von einer Steinmauer umschlossene Fläche des Tells hat die Form eines unregelmäßigen Kreises von 71–75 m Durchmesser und umschließt etwa 0,4 ha. Neben den Befestigungsanlagen aus 2–3 Gräben und Palisaden ist die Steinmauer sicherlich am eindrucksvollsten. Das südöstliche Tor hatte eine Breite von 2,40 m und ist von zwei mindestens 3 m hohen Bastionen mit einer Grundfläche von 10 m² aus trocken aufgemauerten Steinblöcken flankiert. Den Ausgräbern zufolge lässt sich entsprechend eine Höhe der Mauer von 5–6 m rekonstruieren.

 Die Wehrbauten sind nicht allein Anzeichen für das hohe Konfliktpotenzial dieser Zeit, sondern spiegeln auch den hohen Bedarf an Repräsentation, welcher sich ja bereits stark in den Bestattungssitten niederschlägt. Als Schutzburgen könnten sie in Krisenzeiten zur Aufnahme größerer Bevölkerungsgruppen gedient haben, welche ansonsten außerhalb der Anlagen siedelten. Ob die befestigten Siedlungen zudem bereits ausgeprägte Herrschaftsorte gewesen waren, wissen wir nicht. Innerhalb der Befestigungen konnten kaum speziell gegliederte oder besonders große Gebäude ausgemacht werden, die als Herrschaftssitze gedient haben könnten. Vielmehr stellt sich die Bebauung an den vollständig oder weitgehend vollständig gegrabenen Plätzen, wie etwa Ruse, Dolnoslav und Poljanica, erstaunlich egalitär dar.

Aufgrund des hohen Innovationspotenzials und der zu beobachtenden zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierung ist zu erwarten, dass die spätneolithisch-kupferzeitlichen Gemeinschaften im Balkanraum derartige Anlagen selbst entwickelt haben. Auch spricht die Vielfalt der am Beginn der Kupferzeit im Balkanraum zu beobachtenden Formen von Verteidigungsanlagen eher für ein Experimentieren mit verschiedenen Arten von Wehrbauten als für die Übernahme eines bereits feststehenden Baukonzeptes von außerhalb.

Bei der Frage, ob es sich bei bewaffneten Auseinandersetzungen in prähistorischen Gesellschaften um Fehden, Gewaltkonflikte oder Kriege handelt, scheint sich in letzter Zeit eine Tendenz abzuzeichnen, die Konflikte in segmentären Gesellschaften mit guten Argumenten zunächst auf der Ebene von Fehden sieht. Mit eigentlichen Kriegen sei in Europa erst ab der Urnenfelderzeit zu rechnen.

Jagd

Während des Neolithikums hatte die Jagd eine sekundäre Bedeutung,  während der Kupferzeit ist interessanterweise eine gegenläufige Tendenz zu beobachten. Der Anteil der Jagdtiere nimmt beständig zu und erreicht auf seinem Höhepunkt ein Verhältnis von 6:1 von Jagdwild zu Haustieren. Am Beginn des Chalkolithikums ist die Jagd auch auf Löwen, Wildkatzen und Auerochsen belegt – also schwer zu bejagende Tiere, die zudem wenig Nutzen für die Ernährung hatten. Aufgrund des geringen ökonomischen Nutzens ist anzunehmen, dass die Raubtierjagd vor allem zum Vergnügen durchgeführt wurde und darüber hinaus dem Gewinn von gesellschaftlichem Prestige diente. 

Ab dem 48. Jahrhundert v. Chr. treten im Ostbalkanraum Gräberfelder auf, die ein differenziertes Bestattungsritual erkennen lassen. Zuvor ist dieses Phänomen schlecht zu erfassen, denn erst ab diesem Zeit-punkt treten regelhafte Friedhöfe auf. 


Das Ende der meisten Tellsiedlungen im 42. Jahrhundert fällt mit dem Beginn von einschneidenden und langanhaltenden Änderungen des Klimas zusammen. Die Gebiete im Westen und südlich des Balkangebirges scheinen von den kulturhistorischen Veränderungen weniger betroffen gewesen zu sein, denn viele der Tellsiedlungen in Westbulgarien und Thrakien zeigen eine über die Marke von 4200 v.u.Z. fortlaufende Entwicklung. In Nordostbulgarien lassen sich ab dieser Zeit dagegen nur noch Flachsiedlungen in abgelegenen Lagen, zum Teil sogar in Höhlen nachweisen. Bemerkenswerterweise sind die Veränderungen im Siedlungswesen dort am stärksten, wo zuvor die meisten befestigten Siedlungen anzutreffen waren. 


Die befestigte Siedlung von Sušina

Im Jahr 2009 begannen die Grabungen auf einem Siedlungshügel in der Flur „Nurijuk“ bei der Ortschaft Sušina, Kreis Šumen. An diesem Platz konnten einige fortifikatorische Besonderheiten beobachtet werden, die einen tieferen Einblick in die Technik des Burgenbaus des5. Jahrtausends v.u.Z. erlauben.

In den erhaltenen Abschnitten hat die Mauer eine Länge von 55–60 m und ist vornehmlich aus 5–18 cm dicken und bis zu 1,15 m langen Steinplatten errichtet worden. Erhalten ist sie bis zu 5 m Höhe. Bemerkenswert ist eine kleinere, innere Mauer, bei der das  verwendete Bindemittel zwischen den Blöcken sehr fest ist und sich nur mit großer Mühe aus dem Verband lösen lässt. Nach Laboruntersuchungen handelt es sich um einen gezielt zum Bau hergestellten Mörtel. Nachdem die innere Mauer, womöglich durch ein Erdbeben (4500/4600 calBC), an die äußere gekippt war, wurde ihr oberer Abschnitt mit einer 20–25 cm dicken Lehmschicht planiert und konnte so als Wehrgang verwendet werden.




Bild: Kupferzeitliche Siedlung Sušina, Kr. Šumen. Bastion im Osten der Befestigungsmauer
Bereitgestellt von Universitätsbibliothek Tübingen
aus: Stefan Čohadžiev, Raiko Krauß, Befestigte Siedlungen der Kupferzeit im Balkanraum




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