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Sumerische Königsliste - Erläuterungen



Quelle:
Cuneiform Digital Library Preprints
Number 6.1
Title: „Nachdem das Königtum vom Himmel herabgekommen war...“.
Untersuchungen zur Sumerischen Königliste.
Author: Jörg Kaula
Posted to web: 25 February 2021


Bei der Sumerischen Königsliste handelt es sich um ein Verzeichnis der Könige von Sumer und Akkad von „vor der Flut“ an bis in die Zeit der Könige von Isin (ca. 1800 v.u.Z MC.), angeordnet nach Städten, die angeblich die Hegemonie über das Zweistromland ausübten. Das 
Tonprisma WB 444 stellt die umfangreichste und vollständigste Fassung dieser in verschiedenen Versionen erhaltenen Liste dar und ist auch die einzige Fassung, die vom Schreiber signiert wurde.

Erst spät im 3. Jahrtausend v.u.Z. erschien in Mesopotamien eine Methode der Jahreszählung, die den Jahren Namen nach dem wichtigsten Ereignis des Jahres gab.Diese Zählweise erfordert aber, um überhaupt handelbar zu sein, kontinuierliche Aufzeichnungen der Jahresnamen. Diese Listen wurden nach Königen gegliedert und enthielten in der Regel als Jahresnamen Nummer 1 „PN wurde König“.

Aus der Zeit bis Hammurapi sind nur zwei Königslisten bekannt, die auf Tonprismen überliefert sind: Das im Louvre befindliche Prisma AO 7025 mit der Königsliste von Larsa und WB 444.  Diese Dokumente sind, im Gegensatz zu den Abschriften auf Tontafeln, schon nach der 
Beschriftung gebrannt worden und somit auf Dauer ausgelegt gewesen. An den Prismen sind schwach Anzeichen einer womöglich kostbaren Einfassung zu erkennen, die zu späterer Zeit wohl von Dieben oder Plünderern entfernt worden ist. In diesem Zusammenhang wären die Fundumstände von großem Interesse, sind leider aber nicht zu klären, da sämtliche Prismen, von denen hier die 
Rede ist, aus dem Antikenhandel stammen. Von der Form her sind das Louvre-Prisma und WB 444 recht ähnlich, das Pariser Exemplar ist 30 Zentimeter hoch, WB 444 etwa 20 Zentimeter.

 Der zeitliche Abstand der beiden Prismen kann relativ genau ermittelt werden: AO 7025 enthält die Könige von Larsa ab dem Stammvater (?) Naplanum bis Rim-Sîn, ab Gungunum mit allen Jahresnamen. Die Liste endet mit dem ersten Jahr der Herrschaft Hammurapis nach der 
Eroberung von Larsa durch die Babylonier.

WB 444, die Sumerische Königsliste, ist dagegen ganz anders aufgebaut. Nach einem Abschnitt am Anfang des Textes, der die Städte und Könige „vor der Flut“ enthält, folgt eine über mehrere Kolumnen reichende Liste von Königen der Städte Kiš, Uruk, Ur, Adab, Ḫamazi, Mari, Akšak, Awan und Akkad sowie der Könige der Gutäer. Das Ende dieses Abschnittes bildet die Regierung des Utu-ḫeĝal von Uruk, der die Gutäer besiegte. Daran schließt sich die III. Dynastie von Ur (kurz Ur III) und letztlich die Dynastie von Isin an. WB 444 endet mit dem vorletzten König von Isin, Sîn-magir, was darauf schließen lässt, dass das Prisma unter der Regierung von Damiq-ilišu, dem letzten König von Isin geschaffen wurde. Ein bemerkenswertes Element der SKL stellt die Phrase „ON (Ortsname) wurde mit der Waffe geschlagen, das Königtum ging über auf ON“, die zwischen den einzelnen Dynastien der Städte erscheint. Diese Phrase geht bis auf die älteste erhaltene Version der SKL („Ur III Version der Sumerischen Königsliste“ = USKL) zurück und war sicher immer fester Bestandteil der Liste.

Die Angaben der Regierungszeiten vornehmlich der frühen Könige sind unrealistisch. Auffällig ist auch, dass viele bedeutende Städte des Zweistromlandes überhaupt nicht erwähnt werden (Nippur, Lagaš, Umma). Die Liste der „vorsintflutlichen Könige“ ist eine spätere Zutat, die augenscheinlich durch Ausschmücken der „Flutgeschichte“entstanden ist.  In anderen Fällen ist die Angabe, dass eine Stadt von einer anderen im Kampf geschlagen wurde, schlicht falsch. Ein krasser Fall ist der Übergang der III.Dynastie von Ur auf Isin. Nach der derzeitigen historischen Forschung ist diese Angabe allerdings falsch, vielmehr überlappten sich die Regierungszeiten von Ibbi-Suen und Išbi-Erra um einige Jahre. Ur ist gefallen, aber nicht durch Truppen von Isin. Geschlagen wurde Ibbi-Suen von Elam und Šimaški. Einige wenige der frühen Herrscher der SKL konnten durch zeitgenössische Quellen und Befunde nachgewiesen werden, so z.B. Enmeparagesi von Kiš oder Mešanepada von Ur. Andere archäologisch fassbare frühdynastische Könige wie Mesilim von Kiš dagegen sind in der SKL nicht zu finden. Erst ab der Dynastie von Akkad nähert sich die Liste überprüfbarer Geschichte.

Die meisten Kopien der SKL sind in der Isin-Larsa-Zeit und zu Anfang der I. Dynastie von Babylon (Hammurapi, Samsuiluna) entstanden, also in einem Zeitrahmen von 1900 – 1750 v.u.Z.. WB 444 ist die erste Fassung der SKL, die den Abschnitt "Die Könige vor der Flut" enthält. Die Regierungsjahre der vorsintflutlichen Könige ergeben keinen Sinn – in der Übersetzung der Zahlzeichen ergeben sich für 8 Könige  241.200 Jahre. Eine Diskussion der Zeitangaben in dieser Liste erübrigt sich ebenso wie die der Historizität der genannten Könige.

Ein genauerer Blick gilt der Herrscherreihe von Kiš, denn einmal ist es die längste innerhalb der SKL, zum anderen ist sie mit einem Machtanspruch verknüpft. Schließlich haben auch Könige, die keine Erwähnung in der SKL gefunden haben, ihren Anspruch auf Hegemonie in Sumer und Akkad mit dem Titel eines „Königs von Kiš“ begründet. Der „rote Faden“ der SKL, das Gerüst, auf dem der Text aufgebaut ist, muss in den Königen von Kiš gesehen werden. Die Reihe der Herrscher von Kiš umfasst 39 oder 40 Könige, deren erster das Königtum nach der Flut vom Himmel empfing, während der letzte zur Zeit der akkadischen lugal regiert haben muss. Den meisten Herrschern, denen der I. und II. „Dynastie“, sind unglaubhafte, nämlich viel zu hohe, Regierungszeiten zugeschrieben, die sich 
in der Übersetzung der Zahlzeichen im Bereich von 140 bis 1500 Jahren bewegen. Diese Tatsache hat die Meinung bestärkt, dass es sich bei diesen Königen größtenteils um Phantasiegestalten handelt, auch, weil nur einige dieser Herrscher in anderen Quellen genannt werden. 

Der Gedanke, dass es ursprünglich lange Listen von Königen verschiedener Städte gab, die später in die sog. „Dynastien“ zerschnitten und neu angeordnet wurden, lässt sich durch USKL belegen – dort sind, soweit erhalten, die Könige von Kiš, Uruk, Akkad, Gutium und Ur in durchgehenden Listen erfasst. Auch die verbindende Phrase „ON wurde mit der Waffe geschlagen, das Königtum ging über auf ON“ ist dort zu finden. Nicht eine Genealogie von Herrschern bildet den Inhalt der Liste, sondern eine Abfolge von Städten.

Nimmt man USKL als Maßstab, so ist zu schließen, dass die ältesten Fassungen der Liste in der Tat aus aneinander gereihten Einzellisten bestanden, die durch eine Art Refrain miteinander verbunden wurden. Das Thema des Ganzen war nam-lugal, das Königtum, dessen Herkunft von den Göttern („aus dem Himmel“) und der Stadt Kiš als erster Trägerin dargelegt wurde. Spätere Redaktionen haben die Herrscherfolgen der einzelnen Städte zerschnitten und andere Städte hinzugefügt: Adab, Ḫamazi, Awan, Mari und Akšak. Warum diese Städte und nicht solche wie Umma, Lagaš, Larsa, Ešnunna oder Dēr bleibt völlig unklar.

Nimmt man die Redaktionsgeschichte als Maßstab, gibt es bisher mindestens 7 Fassungen der SKL, die zu unterschiedlichen Zeiten und wohl an unterschiedlichen Orten entstanden sind:

1. Die Ursprungsliste aus der Zeit der Sargoniden, vielleicht von Naram-Sîn. Ihr Sinn lag darin, das für diese Zeit revolutionäre Königtum von Akkad mit einer Erzählung zu legitimieren, die suggerierte, dass es stets ein Königtum gegeben habe, dessen Ursprung in der Stadt Kiš lag.

2. Nach dem Zerfall des Akkaderreiches und der Zwischenherrschaft der Gutäer, entdeckte ein König, der, gemessen an seiner Siegesinschrift, vom Streben nach Macht und dem Stolz des Siegers erfüllt war, die SKL neu. Er ließ sie erweitern und aktualisieren. Nun mag die Reihe Kiš – Uruk – Akkad – Uruk – Gutäer – Adab - Utu-ḫeĝal gelautet haben.

3. Zur Regierungszeit des Šulgi entstand die USKL, die älteste belegte Fassung der SKL. Leider ist die Tafel, deren Erhaltungszustand als exzellent bezeichnet werden muss, nur zur Hälfte vorhanden.

4. Die unter diesem Punkt zusammen gefügten Fassungen sind schwierig in ihrer zeitlichen Reihenfolge zu erfassen, sofern nicht im Laufe der Isin-Larsa-Zeit verschiedene Versionen parallel entstanden sind. Zusätzlich zu den anderen Städten wurde Ur hinzugefügt, geteilt in zwei „Dynastien“.  Diese Ergänzung mag während der Ur III-Zeit eingefügt worden sein, um die Stadt Ur im Rahmen der Liste bedeutender erscheinen zu lassen.

5. Diese Fassung unterscheidet sich von Fassung 4 durch die Zusammenziehung von Kiš III und IV, während Ur II und Uruk II in dieser Reihenfolge aufgeführt sind.

6. Zieht Kiš III und IV ebenfalls zusammen und setzen Akšak vor Mari. Die Fassungen 4, 5 und 6 sind aus der Isin-Larsa-Zeit und vom Beginn der I. Dynastie von Babylon bekannt. Sie gehen wohl auf Könige von Isin wie Enlil-bani zurück, die mit dieser Liste sowohl ihre Nachfolgerschaft des Königtums von Ur als auch ihren daraus abgeleiteten Anspruch auf Hegemonie im Zweistromland begründeten

7. Dies ist das Prisma WB 444, das eine umfassende Version darstellt, die aus mindestens drei Vorlagen zusammengestellt wurde. In der Hauptsache steht die eigentliche SKL des Prismas der Fassung D nahe, die „Dynastien“ Uruk II und Ur II sind aber vertauscht. Die „Könige vor der Flut“ sind hier vorhanden, so dass diese Fassung als spätes Produkt der Redaktionsgeschichte aufgefasst werden kann. Die Redaktion des Prismas kann recht sicher in den Anfang der Regierung Damiq-ilišus datiert werden. Dieser König hatte Grund genug, seine Ansprüche und Legitimation zu vertreten, da besonders der Erzfeind Larsa sehr gewachsen war, während Isin immer mehr ins Hintertreffen geriet. Unbeirrt verkündete Damiq-ilišu in seinen Inschriften, König von Sumer und Akkad zu sein, obwohl sein Reich schon sehr geschrumpft war.

In die Zeit des Königs Naram-Sîn, die die größte Krise in der Großen Revolte erlebte, mag die Entstehung der SKL gefallen sein. Mit diesem Text wurde ein Grundstein gelegt, auf den spätere Herrscher aufbauten. Zunächst als königliche Propaganda angelegt, wurde aus diesem Konstrukt die gültige Geschichte des Landes, die im Laufe der Jahrhunderte aus dem rein politischen Bereich in den des Schulunterrichts gelangte. Als Grundlage dienten vermutlich einige wenige lokale Königslisten, die von den Anfängen bis zu König Lugalzaggesi von Uruk in einer Folge hintereinander aufgeführt wurden. Da Lugalzaggesi der Hauptfeind von Sargon war, musste er zwingend sein Vorgänger sein.

Die unrealistischen Zeitangaben, die mit zum Zweifel an der Zuverlässigkeit der SKL beigetragen haben, sind bei näherer Betrachtung keine puren Erfindungen, sondern gehorchen einem Muster, welches auf den konkreten Eigenschaften der Keilschriftzahlen beruht. Funde in Fara (früh-dynastisch) vermitteln uns gravierende Veränderungen, die sich zur selben Zeit ergaben, als vermutlich die Zeit der frühen Könige von Kiš endete. Nun tauchten neben den bekannten Zahlzeichen (von runden Griffeln) neue auf, die aus Keilen gebildet wurden. Die verschiedenen Schreibweisen der Zahlen wurden eine Zeit lang nebeneinander verwendet, so sind die alten Zahlen noch in sargonidischen Dokumenten zu finden. Insbesondere bei den Zeichen für "1" und "60" kam es zu Verwechslungen und möglichen Falschlesungen, die im Bereich von mehreren Hundert Jahren liegen konnten. Wendet man diese Erkenntnis auf die Könige von Kiš I an, sind die angegebenen Regierungszeiten womöglich nicht mehr so unrealistisch. Aus 600 wird 10, aus 840 wird 14, aus 960 wird 16, aus 1200 wird 20. Auffallend ist aber, dass diese unrealistisch wirkenden Zeitangaben der frühen Könige nicht etwa willkürlich bemessen sind, sondern einem Muster folgen, das sich aus dem sumerischen Zahlensystem ergibt. In der Mehrzahl, wenn man WB 444 betrachtet, fast immer, wenn man USKL als Vergleich wählt, sind es Vielfache von 60.








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