Buch 1, Kapitel 29-33
Auszug:
29:
Wir untersuchen, was das Äußerste und Letzte gut sei; dieses muß nach Meinung aller Philosophen so beschaffen sein, daß alles darauf zurückgeführt werden muß, es selbst aber auf nichts.
Epikur meint, daß es die Lust sei, weil er sie für das größte Gut hält, während er den Schmerz für das größte Übel hält, und er hat es unternommen, das folgendermaßen zu lehren:
30:
Jedes Lebewesen strebe sobald es geboren sei nach Lust und erfreue sich daran als dem höchsten Gut und vermeide Schmerz, als das größte Übel, und es halte ihn von sich fern, so gut es könne, und das mache es solange es noch nicht verdorben ist und wenn die Natur selbst noch unverfälscht und frei urteilt.
Daher sagt er, daß es keiner vernünftigen Überlegung und keiner Erörterung bedarf, warum er die Lust anstreben und den Schmerz vermeiden muss.
Er glaubt, daß man das spürt, so wie, daß Feuer heiß ist, daß Schnee weiß ist und daß Honig süß ist.
Nicht von diesen Dingen müsse man durch ausgewählte Vernunftgründe bestätigen, es genüge (nur) daran zu erinnern.
Es gebe nämlich zwischen einer rationalen Begründung und Schlußfolgerung einerseits und einer ganz gewöhnlichen Sinneswahrnehmung und einen Hinweis andererseits den Unterschied, dass durch die eine gewisse verborgene, und gleichsam verhüllte Dinge eröffnet würden und durch die andere Offensichtliches und frei Daliegendes beurteilt werde
Weil nämlich nichts übrigbleibt, wenn man dem Menschen die Sinne nimmt, ist es notwendig, daß von der Natur selbst beurteilt wird, was entweder gemäß der Natur oder gegen die Natur ist.
Was nimmt sie wahr oder was beurteilt sie, wozu strebt sie irgend etwas an oder vermeidet sie etwas außer Lust und Schmerz?
32:
Aber damit ihr erkennt, woher dieser ganze Irrtum kommt, der Leute, die die Lust anklagen und den Schmerz loben, werde ich diese ganze Sache/Frage darlegen und diese Lehren selbst, die von jenem Erfinder der Wahrheit und gleichsam vom Baumeister eines guten Lebens gelehrt wurden erklären.
Denn niemand weist die Lust selbst zurück, oder haßt oder vermeidet sie, weil es die Lust ist, sondern weil große Schmerzen diejenigen einholen, die es nicht verstehen der Lust in vernünftiger Weise zu folgen, ferner gibt es niemanden, der den Schmerz selbst liebt, verfolgt und erreichen will, weil es Schmerz ist, sondern weil manchmal derartige Umstände eintreten, dass man durch Mühe und Schmerz irgendein großes Vergnügen erreicht.
Um nämlich zu sehr unbedeutenden Dingen zu kommen, wer von uns nimmt irgendeine mühevolle körperliche Übung auf sich, wenn nicht um aus dieser irgendeinen Vorteil zu ziehen?
Wer aber wird zurecht, entweder den tadeln, der in diesem Zustand der Lust sein möchte, dem keinerlei Beschwerlichkeit folgt, oder denjenigen, der den/diesen Schmerz vermeidet, durch den kein Vergnügen erreicht wird?
33:
Aber wir klagen diejenigen an und halten sie für sehr würdig eines gerechten Hasses, die durch die Verlockungen gegenwärtiger Lust gewonnen (geködert) und verdorben, durch Verlangen verblendet nicht vorhersehen, welche Schmerzen und welche Mühen auf sich nehmen werden; in einer gleichen Schuld sind diejenigen, die durch eine Charakterschwäche, daß heißt durch eine Flucht vor Mühen und Schmerzen ihre Pflichten im Stich lassen.
Die Unterscheidung dieser Dinge ist leicht und unproblematisch: Denn in einer freien Zeit (unter freien Umständen), wenn die Wahlfreiheit für uns ungehindert ist, und wenn nichts uns hindert, das tun zu können, was uns am meisten gefällt, müssen wir jede Lust annehmen und jeden Schmerz zurückweisen.
Aber zu gewissen Zeiten wird es oft geschehen, entweder durch Pflichten die man schuldet oder aus einer Notwendigkeit heraus, daß man einerseits Lust zurückdrängen muß und andererseits die Beschwerlichkeit nicht zurückweisen darf.
Daher wird von einem Weisem diese Wahl in diesen Angelegenheiten getroffen, daß er entweder durch das Zurückweisen von Lust andere größere Lust erreicht/erlangt oder durch das Ertragen von Schmerz ärgeren Schmerz vermeidet.
Cicero Übersetzungen (In Verrem, In Catilinam, De Re Publica usw.) | Lateinheft.de
De finibus bonorum et malorum – Wikipedia
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