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Der Tempel des dritten Jahrtausends

 aus: Krieg und Frieden im antiken Nahen Osten
Alter Orient und Altes Testament - Band 401

Der Tempel des dritten Jahrtausends - Krieg und Frieden in Geschichte und Religion
Richard E. Averbeck (Deerfield, IL)


Im alten Sumer war ein Tempel das Haus eines Gottes, oder besser gesagt, das Haus eines göttlichen Paares und eines göttlichen Familienhaushalts. In konzeptioneller Hinsicht bot er eine Art Orientierung für die größeren Realitäten, welche die menschliche Gesellschaft in ihrer eigenen persönlichen, familiären, sozialen, beruflichen, ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Welt umgaben. Der Tempel und die Mythologie machte die Welt verständlich, indem er sie mit einer Art analoger Organisation versah, die für die Menschen Sinn machte, da ihr eigenes Leben von Natur aus so organisiert war. Zuzüglich zum konzeptionellen Denken bot der Tempel eine praktische Möglichkeit, die Welt zu managen und nicht nur zu verstehen. Das Modell des "Tempelanwesens" ist immer noch die schlüssigste Erklärung für Landbesitz und landwirtschaftlichen Wohlstand in den frühdynastischen Stadtstaaten des dritten Jahrtausends in Sumer (im Gegensatz zu Akkad im Norden). Somit kontrollierte der Tempel nicht als religiöse, sondern als säkulare Organisation zur Verwaltung des Landbesitzes unter der Kontrolle des herrschenden Ensi des Stadtstaates die gesamte Ackerlandwirtschaft in Sumer. Wenngleich nicht alle nicht davon überzeugt sind, dass das gesamte Ackerland in Sumer während des dritten Jahrtausends so vollständig durch den Tempelbesitz monopolisiert war. Der Tempel war im alten Sumer die Schlüsselinstitution, um praktische Realitäten und ideologische Überzeugungen zusammenzubringen und ihre Beziehungen darzustellen. Damit war er auch in der Lage, die Gesellschaft funktional zu vereinheitlichen. 

In konzeptioneller Hinsicht war das Oberhaupt des Tempelanwesens die Schutzgottheit, aber in funktioneller Hinsicht, auf der menschlichen Ebene, war der menschliche Herrscher des Dorfes, der Stadt, des Stadtstaates oder des regionalen Gemeinwesens der Hauptverwalter des Tempelanwesens im Namen der Schutzgottheit. 

Nach den präsaragonischen Inschriften waren die Götter immer beteiligt, wenn es Krieg gab, Deise Auseinandersetzungen zwischen den sumerischen Stadtstaaten wurden aber von (bösen) Menschen verursacht, die ihre Grenzen gegenüber ihren Nachbarn überschritten. Selbst ihre eigenen Götter waren nicht dafür, zumindest nicht nach Ansicht derer, die die Inschriften verfassten. 

Des Herrschers Teilnahme an Kult und Ritualen war wesentlich für die Ausübung und Darstellung seiner Position in seinen zahlreichen Funktionen als religiöser, wirtschaftlicher, administrativer, politischer und militärischer Führer der Gemeinschaft. Eine der wichtigsten dieser Funktionen war der (Wiederauf-)Bau von Tempeln für die Götter, der alle Ressourcen erforderte, die seine Position auf dem Tempelgelände und darüber hinaus aufbringen konnte. Der Herrscher war für den Tempel unentbehrlich und umgekehrt der Tempel für den Herrscher.

Nach Jacobsen konzentrierte sich die Religion des vierten Jahrtausends auf die Verehrung der für das wirtschaftliche Überleben notwendigen Kräfte, insbesondere der Naturkräfte. Ein typisches Merkmal dieses Zeitalters war der Gott oder die Göttin als "Macht der Fruchtbarkeit und des Überflusses". Hier waren die Götter Ernährer, und die "heilige Ehe" stand im Mittelpunkt des Kultes. Die Texte des späten dritten und zweiten Jahrtausends bezeugen, dass dieser Fruchtbarkeitskult auf verschiedene Weise und an verschiedenen Orten weiter praktiziert wurde. Das dritte Jahrtausend brachte jedoch eine zweite religiöse Metapher mit sich, nämlich die der Götter als Herrscher und des Kosmos als Gemeinwesen, mit der "Hoffnung auf Sicherheit gegen Feinde". Die Götter waren Herrscher, die von ihrem göttlichen Herrschaftssitz, dem Tempel, aus ihr Reich regierten. Ab dem zweiten Jahrtausend, wurden die Götter mit dem Aufkommen der persönlichen Religion dann auch als Eltern verehrt. Das 4. bis zum 2. Jahrtausende bewegt sich also von der gemeinschaftlichen Wirtschaft über die gemeinschaftliche Sicherheit hin zur individuellen Verantwortung vor den Göttern.

Jacobsen stützt sich dabei auf die Vase von Uruk. Sie war Teil des Tempelschatzes der Ebene III im Eanna-Revier (ca. 3000 v.u.Z.), dem Tempel der Inanna in Uruk. Seiner Ansicht nach stellt sie "die Braut Inanna dar, die ihrem Bräutigam Dumuzi am Tor begegnet, um ihn und seine Diener, die die Brautgeschenke, eine unendliche Fülle von Speisen aller Art, mit sich führen, einzulassen". Aber er entwickelte seine Argumentation hauptsächlich aus literarischen Quellen, die viel später datiert wurden. Er war der Meinung, dass das auf der Uruk-Vase dargestellte heilige Hochzeitsritual das archaischste der Themen sei, die in diesen späteren Texten zu finden sind. 

Zainab Bahrani beschreibt die Szene als "eine sich wiederholende Vorstellung, in der sich die Priesterin und der König in Gottheiten verwandeln. ... die Priesterin und der König werden zu Doppelgängern der Götter. ... ". Sicherlich war eines der Hauptanliegen der alten Menschen das Überleben durch Fruchtbarkeit und den damit verbundenen Wohlstand. Das dritte (d. h. obere) Register der Uruk-Vase scheint tatsächlich den menschlichen "En" (Herr, Herrscher) in seiner charakteristischen Mütze und seinem Netzkilt (der bis auf den unteren Rand des Kilts völlig zerrissen ist) darzustellen.

Einige vermute, dass der Herrscher einem nackten Priester folgt, der Inanna, der Schutzpatronin von Uruk, oder vielleicht ihrem menschlichen Vertreter einen Korb mit Produkten überreicht. Die Übergabe der Gaben erfolgt am Eingang zu Inannas Tempel, der durch die beiden hinter ihr stehenden Torpfosten dargestellt wird. Weiter hinten, hinter den beiden kleineren Figuren, sind Nachbildungen der Uruk-Vase selbst abgebildet, zusammen mit aufgestapelten Körben mit Produkten, Tieren usw..  Das untere Register zeigt die Feldfrüchte (Flachs und Gerste) auf einem fließenden Wasserstrom, und darüber die Herden (abwechselnd Schafe und Ziegen), die die Vase umrunden. Das zweite Register zeigt nackte Priester, die Körbe mit Speisen und Getränken tragen und alle in dieselbe Richtung um den gesamten Umfang der Vase herumgehen. Die gleiche Ausrichtung in eine Richtung gilt für die Tiere im unteren Register, aber sie gehen in die entgegengesetzte Richtung im Vergleich zu den Priestern im zweiten Register.

Bei der Interpretation dieser Szene muss berücksichtigt werden, dass der Mann mit dem gleichen Kilt auf Stempeln und Zylindersiegeln von Uruk nicht nur in anderen rituellen Szenen, sondern auch in Jagd- und Militärszenen, vor monumentalen Gebäuden und in administrativen Funktionen abgebildet ist. Es ist ganz klar, dass es sich bei ihm nicht um einen Gott handelt, sondern um den obersten Mann - den En - in einer wirtschaftlichen, politischen, militärischen und religiösen Hierarchie, die fest etabliert war. Er ist nicht Dumuzi in göttlicher Gestalt, sondern ein menschlicher Herrscher, der sich Inanna (oder ihrem Vertreter) als Anbeter mit Opfergaben präsentiert. Da die Uruk-Vase aus Uruk stammt und Inanna die Hauptgottheit war, die im Eanna-Tempel in Uruk verehrt wurde, erscheint diese Art von Szene auf einer dort gefundenen Vase ganz natürlich. Der Herrscher von Uruk würde Inanna als ihr Priesterkönig solche Opfergaben schulden, und im Hinblick auf den Kult deutet die Szene auf eine Art Erntefest hin, bei dem der Reichtum zur Präsentation und Aufbewahrung im Tempel gebracht wird.

Die Einsetzung des En-Amts entstand und entwickelte sich wohl nicht nur aus dem Bedürfnis nach Fruchtbarkeit, sondern auch aus administrativen, politischen und militärischen Erwägungen heraus.


Bild: Kopie der Uruk/Warka-Vase im Pergamonmuseum in Berlin




Nach Wiggermanns gab es in der prähistorischen Phase der mesopotamischen Religion Naturgötter, die kein Geschlecht hatten und daher auch keine Frauen oder Kinder (fünftes Jahrtausend und früher). Dann kam die Eridu-Phase der Uruk-Periode (viertes Jahrtausend), in der anthropomorphe Götter als Staatsoberhäupter auftraten. Die Stadtstaaten waren Tempelstaaten, zusammen mit einem breiteren regionalen Netzwerk, das in Eridu mit Enki als Hauptgottheit seinen Sitz hatte. Drittens begann die Nippur-Phase in der Mitte des dritten Jahrtausends, als Nippur zu einem nationalen Kultzentrum wurde, das Akkad im Norden und Sumer im Süden vereinte, wobei Enlil und nicht Enki an der Spitze des Pantheons stand.

Piotr Steinkellers argumentiert, dass es eine "supra-stadtstaatliche Institution" im südlichen Alluvium gab, mit Uruk und seiner Hauptgottheit Inanna als Mittelpunkt am Ende der Uruk-Periode, aber eine Verschiebung der Loyalität zu Nippur und seiner Hauptgottheit Enlil irgendwann während der folgenden frühdynastischen I-Zeit stattfand. Steinkeller weicht damit in zwei wesentlichen Punkten von Wiggermanns ab. Erstens setzt er die Verschiebung in die Nähe des Beginns des dritten Jahrtausends, was darauf hindeutet, dass sie zum Übergang von der Uruk-Periode in die frühdynastische Periode beitrug oder diese vielleicht widerspiegelt. Zweitens war Uruk, nicht Eridu, das Zentrum der Einheit vor Nippur.

Die Uneinigkeit darüber, ob Eridu oder Uruk das Zentrum der Zivilisation im vierten Jahrtausend war, sollte wahrscheinlich zugunsten von Uruk entschieden werden, insbesondere im Hinblick auf die so genannte "Uruk-Expansion". Die Eridu-Phase in Wiggermanns Rekonstruktion sollte jedoch nicht ignoriert werden. Es gibt gute Gründe, sie in das fünfte Jahrtausend der Ubaid-Periode zu verlegen, also vor die Uruk-Periode und ihre Expansion.

Michael Roaf hat gezeigt, dass Wohnhäuser und Götterhäuser (d.h. Tempel) im alten Mesopotamien archäologisch gesehen ähnliche Grundrisse hatten. Genauer gesagt, zeigt derselbe dreiteilige Grundriss für Wohnhäuser und Tempel eine Kontinuität von der Ubaiden- bis zur Uruk-Zeit. Die frühesten dieser Häuser und Tempel wurden in Eridu entdeckt. Spätere Überlieferungen über den Tempelbau messen Enki, dem Hauptgott von Eridu, große Bedeutung bei, da er für die wichtigsten Elemente des Tempelbaus und der Einweihung verantwortlich war.


Historisch gesehen scheint der Übergang von der "Uruk"-Periode des vierten Jahrtausends mit ihrer zur "frühdynastischen" Periode des frühen dritten Jahrtausends durch eine Kombination von Umständen und Entwicklungen zustande gekommen zu sein, wie z. B. die zunehmende Stärke und Unabhängigkeit  der Kolonien außerhalb des Südens, die Zunahme der Anzahl und Größe der stadtstaatlichen Zentren und die zunehmenden Konflikte zwischen diesen Zentren.

Die Analogie zum Tempelhaushalt bildete offenbar von Anfang an die Grundlage der sumerischen Religion. Die frühesten ausgegrabenen Tempel befinden sich in Eridu im südlichen Teil des Alluviums. Enki war dort die Hauptgottheit. Dazu kam der Aufstieg des Herrschers im vierten Jahrtausend. Die verschiedenen Tempel bewahrten einerseits ihre eigenen lokalen Traditionen, auch wenn es innerhalb eines Stadtstaates mehr als einen Tempelbezirk gab, bewahrte jeder seine eigene Tradition in Bezug auf den Hauptgott und/oder die Hauptgöttin des jeweiligen Tempels. Anderseits wurde aber durch die Tempel auch die größeren sumerischen religiösen Traditionen, welche die Grenzen zwischen den Stadtstaaten überschritten, bewahrt. So gab es bspw. den Eninnu-Tempel des Ningirsu und seiner Gefährtin Baba in Girsu, den Inanna- und  Gatumdug-Tempel in Lagasch und den Nanshe-Tempel in NINA.

In der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends kam als weiteres Element dieser religiösen Tradition, die Verlagerung in das nördliche Schwemmland hinzu. Kisch wurde als politisches Zentrum und Nippur als religiöses Zentrum von Sumer anerkannt. Enlil, die Schutzgottheit von Nippur, stieg daher im sumerischen Pantheon zu einer herausragenden Stellung auf. Aber der Tempelhaushalt bildete weiterhin den Kern der religiösen Tradition, und der Herrscher blieb das politische, wirtschaftliche, administrative und militärische Oberhaupt.  Von den Schichten der Tradition, die sich im Laufe der Zeit in Eridu und Uruk gebildet hatten, ging nichts Wesentliches verloren. Die Nippur-Tradition vereinigte jedoch alles unter dem Dach von Enlil, dem Hauptgott des sumerischen Pantheons im dritten Jahrtausend. Die erhaltenen Quellen des dritten Jahrtausends für die Religion (archäologische, bildliche und textliche) spiegeln diese Priorität von Nippur und Enlil wider. Der Text aus dem dritten Jahrtausend, der die Verbindung zwischen dem Tempel, Krieg und Frieden und dem Herrscher am deutlichsten macht, ist die bekannte Hymne zum Tempelbau, die auf zwei Tonfässern, den Gudea-Zylindern A und B, eingraviert ist. Die außergewöhnlich lange Komposition stammt aus der Zeit gegen Ende des dritten Jahrtausends (ca. 2125-2100 v.u.Z.) und ist der umfassendste Bericht über den Tempelbau im dritten Jahrtausend.

Nippur hatte in mehrfacher Hinsicht die "obere Position". Dies zeigt sich in der Religion des dritten Jahrtausends, in der Enlil und Nippur die Oberhand hat. Aber der Stadtstaat von Lagasch war die wichtigste Kraft im Süden, und, wie Selz gezeigt hat, hatte er nicht nur wichtige Verbindungen zu Nippur im Norden, sondern auch zu Uruk und Eridu im Südwesten.

Nicht alle Tempel-Hymnen betonen die Kriegsführung, aber sie tun dies aufgrund des kriegerischen Charakters der Gottheit, der der Tempel gehört. Besonders interessant ist, dass der Eninnu in Lagash der einzige Tempel südlich von Nippur zu sein scheint, dessen Tempelhymne von kriegerischen Ausdrücken dominiert wird, während es nördlich von Nippur mehrere gibt.

Es ist bekannt, dass Ningirsu in der Lagaschtradition mit Ninurta in der Nippurtradition identisch ist oder zumindest mit ihm identifiziert wird. Sie können jedoch in ein und demselben Werk getrennt behandelt werden, bspw. in der Sammlung der sumerischen Tempelhymnen. Die Tatsache, dass Ninurta und Ningirsu in der literarischen Überlieferung so eng miteinander identifiziert werden, könnte darauf hindeuten, dass Nippur und Lagasch schon sehr früh, sogar bis in die Uruk-Zeit hinein, die äußeren Grenzen Sumers bildeten. Sie waren gewissermaßen die Torwächter von Sumer, sowohl im Norden als auch im Süden, und Lagasch dürfte auch als Puffer für Sumer gegenüber dem östlichen elamitischen Gebiet gedient haben


Gudea Zyl. A i 1-9

1. An einem Tag, an dem das Schicksal im Himmel und auf der Erde bestimmt wurde, 

2. erhob Lagasch (sein) Haupt zum Himmel, zu den großen ME,

3. (und) Enlil sah den Fürsten Ningirsu mit Wohlwollen an.

4. In unserer Stadt ging das Langlebige tatsächlich prächtig hervor.

5. Gewiss, das Herz ist übergelaufen,

6. Gewiss, das Herz von Enlil ist übergelaufen,

7. Gewiss, das Herz ist übergelaufen,

8. Gewiss, das Wasser der Flut leuchtete hell und stieg ehrfurchtgebietend,

9. Gewiss,  das Herz Enlils, das der Fluss Tigris ist, brachte süßes Wasser.

Der ganze Reichtum, der für ein so umfangreiches und kostspieliges Tempel-Bauprojekt notwendig war, wurde aus dem Überfluss des Herzens Enlils für seinen Sohn Ningirsu und den Stadtstaat Lagasch bereitgestellt. Das aktive Engagement von Enlil von Nippur im Prozess des Tempelbaus  erscheint nur am Anfang und am Ende der Komposition. Dadurch wird der Bau des Eninnu von Lagash sowohl textlich als auch konzeptionell mit Enlils Zustimmung versehen. Aber "wegen der Größe von Ningirsu und des Eninnu wird ein großes Schicksal für Lagasch verkündet", zudem bekamen Ningirsu und Baba Einweihungsgeschenke (Gudea Zyl. B). 

Der Höhepunkt des Engagements  und die wichtigste Tätigkeit des Herrschers während Friedenszeiten in der Tempelreligion, ob er nun als "en", "ensi" oder "lugal" bezeichnet wurde, war der eigentliche Bau oder Wiederaufbau von Tempeln. Aus politischer Sicht war die Beteiligung des Herrschers am Tempelbau ein Indiz für seinen Status in der Gesellschaft, was wiederum seine Führungsrolle in Fragen des Krieges und des Friedens heiligte. Damit war der Tempelbau das wichtigste Ritual von allen. Es gab keinen Tempelkult und keine anderen rituellen Abläufe ohne einen Tempel, und die Bedeutung des Herrschers wurde im Tempelbauprozess deutlich herausgestellt. Texte wie der Gudea-Zylinder stellen den Tempelbau- und Einweihungsprozess als ein Ganzes dar, das mit frommer Korrektheit geführt wird, was den gesamten Prozess letztlich zu einem religiösen rituellen Vorgang macht, nicht nur zu einem Bauprojekt. Zudem widmet Gudea die Beute aus seinem Sieg über Anšan und Elam Ningirsu in seinem Eninnu-Tempel. Dies ist der einzige Bericht über einen militärischen Feldzug im Korpus der Gudea-Texte.

Die erste Hymne in der sumerischen Sammlung von Tempelhymnen ist dem Abzu von Enki in Eridu gewidmet, und die Betonung von Enki beim Bau und der Einweihung des Eninnu kommt auch in den Gudea-Zylindern deutlich zum Ausdruck. Dies entspricht der Bedeutung der Tempel von Eridu als die ältesten archäologischen Aufzeichnungen und deutet darauf hin, dass der Tempelhaushalt nicht nur eine integrative Rolle in der Kultur mit ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen in jedem Stadtstaat spielte, sondern auch eine zivilisationsweite kuratorische Roller, indem er alte Traditionen in der Beschreibung des Tempelbaus und seiner Rituale verschlüsselte, während er gleichzeitig die laufenden politischen und religiösen Entwicklungen innerhalb der Stadt oder des regionalen Staates in dieselbe Tradition einbezog: Es war Enki, der den architektonischen Plan des Tempels vorbereitete. Laut Gudea-Zyl.A war es Enki, der eine Skizze des Tempels für ihn anfertigte und es war Enki, der den Ton (Lehm) für den ersten Ziegelstein genehmigte. Auch die Gudea-Statue B besagt, dass er "den Tempel von Ningirsu an einem reinen Ort wie Eridu baute".


Bild: Die Zylinder Gudeas mit Tempelbauhymnen (links Zylinder B, rechts Zylinder A), heute im Louvre (wiki)




Heilige Hochzeit
Die frühesten sicheren textlichen Beschreibungen der Herrscher, die an der heiligen Hochzeit als Ritual teilnehmen, stammen aus der Zeit von Ur III und Isin-Larsa, obwohl es einige Hinweise darauf bis in die vorsargonische Zeit geben könnte. Die Texte von Ur III und Isin sind bei weitem die explizitesten Belege für den heiligen Eheritus, und dies sind auch genau die Perioden, in denen die Vergöttlichung der Könige im alten Mesopotamien am weitesten entwickelt war (abseits der Akkad-Zeit). Gegen die Deutung der Uruk-Vase als heilige Ehe spricht zum Beispiel die Tatsache, dass es ohne den Rückgriff auf viel spätere Textzeugnisse kaum einen Grund gäbe, diese Szene überhaupt als Hochzeits- oder Sexszene zu betrachten. Einige vermuten, dass er allegorisch oder metaphorisch war und nur in symbolischer Form vollzogen wurde. Jedoch scheint es, dass einige der Texte den Geschlechtsverkehr zwischen dem Herrscher und der Gottheit so explizit und ausführlich beschreiben, dass es schwierig ist, sie nur als Metapher zu lesen.
Gudea wurde nicht vergöttlicht, zumindest nicht zu seinen Lebzeiten. Das Bett im Gudea-Zylinder B  war das des göttlichen Paares Ningirsu und Baba, nicht aber Gudea und Baba. Dabei handelte es sich um eine göttliche Ehe zwischen der männlichen und der weiblichen Gottheit, nicht um eine heilige Ehe zwischen Gudea und einem Vertreter der Göttin.


Der eigentliche religiöse Kern war demnach immer der Tempel als vollständiger und gut funktionierender göttlicher Tempelhaushalt, nicht aber irgendeine einzelne rituelle Handlung, die darin stattfand, egal wie regelmäßig, buchstäblich oder metaphorisch sie durchgeführt wurde. Die heilige Ehe (d. h. zwischen dem Herrscher und der menschlichen Vertreterin der weiblichen Gottheit) wurde in erster Linie mit dem Kult der Inanna in Uruk in Verbindung gebracht. Dies gilt auch eindeutig für die vergöttlichten Herrscher während der gut dokumentierten Ur III- und Isin-Perioden am Ende des dritten und zu Beginn des zweiten Jahrtausends. Zu vermuten wäre, dass der Einfluss von Uruk (und damit von Inanna) auf die Entwicklung der mesopotamischen Zivilisation erst später, im vierten Jahrtausend, zum Tragen kam. Darüber hinaus könnte diese Ausdehnung der Uruk-Zivilisation den Geltungsbereich des Inanna-Kults im südlichen Alluvium erweitert haben, so dass sich die Praxis der heiligen Ehe auf die Kulte einiger anderer weiblicher Gottheiten ausdehnte, die möglicherweise mit Inanna identifiziert oder assoziiert wurden. Die göttliche Ehe (d. h. zwischen der männlichen und der weiblichen Gottheit, die den jeweiligen Tempel bewohnten) war jedoch (laut Autor) immer grundlegender und wesentlicher für das Funktionieren des Tempelstaates und die religiöse Wirksamkeit der Haushaltsanalogie als die heilige Ehe.






(PDF) War and Peace in the Third Millennium BC | Richard Averbeck - Academia.edu


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(PDF) The God Enki in Sumerian Royal Ideology and Mythology | Peeter Espak - Academia.edu

(PDF) Was Eridu The First City in Sumerian Mythology? | Peeter Espak - Academia.edu

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