von Paul-Alain Beaulieu
616 v.u.Z. zog ein babylonisches Heer unter König Nabopolassar nach Assyrien: 614 v.u.Z. fiel die Stadt Aššur, 612 v.u.Z. nach langem Kampf auch Ninive und 608 v.u.Z. schließlich auch die letzte bedeutende Feste Charran. Babylonien wurde 539 v.u.Z. vom Perser Kyros II. nach einer kurzen militärischen Auseinandersetzung besiegt. Der Makedonenkönig Alexander der Große eroberte ab 334 v.u.Z. das persische Großreich der Achämeniden und zog 331 v.u.Z. in Babylon ein.
Inwieweit die assyrische Kultur den Niedergang des assyrischen Staates überlebt hat, ist noch weitgehend Gegenstand künftiger Forschungen, aber einige Tafeln weisen deutlich auf spätbabylonische oder (neu-)assyrische Verbindung hin und sprechen dafür, dass babylonische Gelehrte der hellenistischen Zeit eine Erinnerung von Ashurbanipals Leidenschaft für das Sammeln von Texten aufrecht hielten. Die Hauptbeweise stammen von zwei späten Tafeln, die im British Museum aufbewahrt wurden, BM 45642 und 28825. Die beiden Tafeln bewahren Briefe auf und dokumentieren die Reaktion der örtlichen Behörden auf Ashurbanipals Forderungen, dass Wissenschaftler aus den beiden Städten für seine Bibliothek Kopien ganzer Korpora des Lernens von Schreibtafeln vorbereiten sollen. BM 45642 muss Mitte des zweiten Jahrhunderts v.u.Z. geschrieben worden sein, und BM 28825, obwohl es nicht so genau datiert werden kann, gehört es höchstwahrscheinlich auch zur seleukidischen Zeit. Nach Babylon steht Uruk an zweiter Stelle unsere Quellen für Keilschrifttexte aus der hellenistischen Zeit. Das hellenistische Uruk hat mehr als 700 wissenschaftliche Texte hervorgebracht, die größtenteils aus drei Bibliotheken stammen: der Bibliothek der kalûs („Wehklagepriester“) vom Res-Tempel, hauptsächlich Texte von Anu-belsunu aus der Familie Sîn-leqi-unninni (Gilgamesch-Epos) und seinen Verwandten, die Bibliothek des asipu („Magier / Exorzist“) Iqisa aus der Familie Ekur-zakir; und die Bibliothek des asipu Anu-iksur aus der Familie der Sangû-Ninurta. Die beiden wichtigsten Familien, die bis in die Zeit des 7. Jahrhunderts v.u.Z. zurückverfolgt werden können, sind die Ekur-zakirs und die Sîn-leqi-unninnis. Diese Bibliotheken des hellenistischen Uruk liefern Beweise dafür, dass lokale Wissenschaftler Wissen kultivierten, das in Ninive und anderen spätassyrischen Lernzentren bearbeitet, serialisiert und möglicherweise sogar erstellt wurde, bspw. SpTU II, 46 aus der Bibliothek von Iqisa, aus dem späten vierten Jahrhundert v.u.Z.. Der Text ist in neu-assyrischer Schrift verfasst und trägt ein Kolophon der Bibliothek von Ashurbanipal, das nach dem Ende Assyriens vor drei Jahrhunderten das einzige Beispiel dieser Art darstellt. Das Vorhandensein einer rein assyrischen Tafel im hellenistischen Uruk könnte als Zufall angesehen werden, aber es ist kein isoliertes Beispiel. Auch die Tafel TCL 6, 2 bewahrt derartige Beweise, da sie eine vollständig konservierten Tafel aus der mittelbabylonischen Periode kopiert.
Im hellenistischen Uruk und Babylon sehen wir im vierten Jahrhundert v.u.Z. einen relativen Bedeutungsverlust der bārû (Wahrsager") im Vergleich zu den Kalû („Wehklagepriester“) und āšipu („Magier / Exorzist“), obwohl wir dennoch Beweise für aktive bārû haben.
Das Überleben assyrischer oder spezifisch ninvitischer Texttraditionen im hellenistischen Uruk kann auch im Bereich der astrologischen Literatur, insbesondere aus der Reihe "Enuma Anu Enlil", weiter dokumentiert werden. Als Bsp. dient die astronomische Tafel CT 26, 50 (K. 9794) aus neoassyrischer Zeit, welche durch TCL 6, 21 (AO 6478) als ein sehr gut erhaltenes Duplikat aus dem hellenistischen Uruk erhalten blieb. Beide geben eine Entfernung von 1.432.000 Meilen von der Erde bis in die Tiefe des Himmels (Asurrakku) an und stellen einen Versuch dar, die tatsächlichen Entfernungen im Sternraum zu bewerten, wobei das Universum als ein sehr großer Ort betrachtet wird. Die Ansicht des Universums als riesiger Ort, spiegelt wohl eine spätassyrische Entwicklung wider, welche die enorme Größe des Reiches zur Zeit der Sargoniden auf die Himmelssphäre projizierte und vergrößerte. Soweit wir uns auf die erhaltenen Manuskripte stützen, stellte diese Tradition eine assyrische Innovation dar, die in das spätbabylonische und hellenistische Uruk exportiert wurde.
Eine Text-Evolution kann deutlich in der Art und Weise wahrgenommen werden, wie verschiedenen Manuskripte die Entfremdung des persönlichen Gottes behandeln. STT 95+ (aus Sultantepe ) stellt die frühere Schicht dar und erwähnt Hexerei überhaupt nicht; Der persönliche Gott hat den Patienten verlassen, wahrscheinlich weil er unabsichtlich eine Sünde begangen hat. BAM 316 (Assur) hingegen fügt Hexerei als eine mögliche Ursache für die Segelung des Patienten ein, ohne jedoch einen festen Kausalzusammenhang mit dem göttlichen Zorn vorzuschlagen. In BAM 315 (Assur) hat sich die Formel weiterentwickelt, um den Kausalzusammenhang zwischen Hexerei und dem Zorn des persönlichen Gottes deutlich zu machen. Diese Idee wird von SpTU II, 22 (spätbabylonisches Uruk) aufgegriffen wo die Hexerei als die einzig mögliche Ursache für göttlichen Zorn und damit für die Probleme des Patienten erscheint. Dieses Beispiel einer geschlossenen Textanalyse zeigt nicht nur, wie die langsame Transformation von traditionellem Text durch Bearbeitung die Transformation eines religiösen Konzepts widerspiegeln kann, sondern es zeigt auch die Übermittlung eines Glaubens an das hellenistische Babylon. Insbesondere ein Text des Res-Tempel legt nahe, dass die Gelehrten des hellenistischen Uruk sich als Erben einer gemeinsamen mesopotamischen Tradition betrachteten, die in ihren jüngsten Stadien stark von Assyrien beeinflusst worden war. Dieser Text ist BMitt 2, 89, eine Liste vonSchreibgelehrten, gepaart mit vorsintflutlichen und historischen Königen. Der Text ist chronologisch geordnet, beginnend mit Oannes-Adapa, gefolgt von Sîn-leqi-unninni als ersten nachsintflutlichen Schreiber. Dann geht es über zu Kabti-ili-Marduk, dem Autor von Ishum und Erra, der anachronistisch mit König Ibbi-Sîn von Ur gepaart ist. Ihm folgen Enlil-bani, der mit Ishbi-Erra in Verbindung steht. es folgen u.a. Esagil-kin-apli und Esagil-kin-ubba, die mit Adad-apla-iddina und Nebukadnezar I assoziiert sind. Dann geht der Text zum Assyrien des ersten Jahrtausends v.u.Z. über. Der Gelehrte Ahiqar ist mit Esarhaddon gepaart.
Bild: Tafel von Iqisha, Sohn von Ishtar-shum-eresh, Nachkomme von Ekur-zakir, Beschwörungspriester, Uruke, Tempel-Betreter von Anu und Antu.
(hellenistisch 322/317 v.u.Z. aus Uruk)
(PDF) The Afterlife of Assyrian Scholarship in Hellenistic Babylonia | Paul-Alain Beaulieu - Academia.edu
Bild: CDLI-Archival View (ucla.edu)
assyrische Schreiberfamilien im hellenistischen Uruk: Ancient Knowledge Networks online - Table B9: Scholars of the Ekur-zakir family and their associates in early Hellenistic Uruk (uni-muenchen.de)
Professor für Assyriology, Universität von Toronto
Inwieweit die assyrische Kultur den Niedergang des assyrischen Staates überlebt hat, ist noch weitgehend Gegenstand künftiger Forschungen, aber einige Tafeln weisen deutlich auf spätbabylonische oder (neu-)assyrische Verbindung hin und sprechen dafür, dass babylonische Gelehrte der hellenistischen Zeit eine Erinnerung von Ashurbanipals Leidenschaft für das Sammeln von Texten aufrecht hielten. Die Hauptbeweise stammen von zwei späten Tafeln, die im British Museum aufbewahrt wurden, BM 45642 und 28825. Die beiden Tafeln bewahren Briefe auf und dokumentieren die Reaktion der örtlichen Behörden auf Ashurbanipals Forderungen, dass Wissenschaftler aus den beiden Städten für seine Bibliothek Kopien ganzer Korpora des Lernens von Schreibtafeln vorbereiten sollen. BM 45642 muss Mitte des zweiten Jahrhunderts v.u.Z. geschrieben worden sein, und BM 28825, obwohl es nicht so genau datiert werden kann, gehört es höchstwahrscheinlich auch zur seleukidischen Zeit. Nach Babylon steht Uruk an zweiter Stelle unsere Quellen für Keilschrifttexte aus der hellenistischen Zeit. Das hellenistische Uruk hat mehr als 700 wissenschaftliche Texte hervorgebracht, die größtenteils aus drei Bibliotheken stammen: der Bibliothek der kalûs („Wehklagepriester“) vom Res-Tempel, hauptsächlich Texte von Anu-belsunu aus der Familie Sîn-leqi-unninni (Gilgamesch-Epos) und seinen Verwandten, die Bibliothek des asipu („Magier / Exorzist“) Iqisa aus der Familie Ekur-zakir; und die Bibliothek des asipu Anu-iksur aus der Familie der Sangû-Ninurta. Die beiden wichtigsten Familien, die bis in die Zeit des 7. Jahrhunderts v.u.Z. zurückverfolgt werden können, sind die Ekur-zakirs und die Sîn-leqi-unninnis. Diese Bibliotheken des hellenistischen Uruk liefern Beweise dafür, dass lokale Wissenschaftler Wissen kultivierten, das in Ninive und anderen spätassyrischen Lernzentren bearbeitet, serialisiert und möglicherweise sogar erstellt wurde, bspw. SpTU II, 46 aus der Bibliothek von Iqisa, aus dem späten vierten Jahrhundert v.u.Z.. Der Text ist in neu-assyrischer Schrift verfasst und trägt ein Kolophon der Bibliothek von Ashurbanipal, das nach dem Ende Assyriens vor drei Jahrhunderten das einzige Beispiel dieser Art darstellt. Das Vorhandensein einer rein assyrischen Tafel im hellenistischen Uruk könnte als Zufall angesehen werden, aber es ist kein isoliertes Beispiel. Auch die Tafel TCL 6, 2 bewahrt derartige Beweise, da sie eine vollständig konservierten Tafel aus der mittelbabylonischen Periode kopiert.
Im hellenistischen Uruk und Babylon sehen wir im vierten Jahrhundert v.u.Z. einen relativen Bedeutungsverlust der bārû (Wahrsager") im Vergleich zu den Kalû („Wehklagepriester“) und āšipu („Magier / Exorzist“), obwohl wir dennoch Beweise für aktive bārû haben.
Das Überleben assyrischer oder spezifisch ninvitischer Texttraditionen im hellenistischen Uruk kann auch im Bereich der astrologischen Literatur, insbesondere aus der Reihe "Enuma Anu Enlil", weiter dokumentiert werden. Als Bsp. dient die astronomische Tafel CT 26, 50 (K. 9794) aus neoassyrischer Zeit, welche durch TCL 6, 21 (AO 6478) als ein sehr gut erhaltenes Duplikat aus dem hellenistischen Uruk erhalten blieb. Beide geben eine Entfernung von 1.432.000 Meilen von der Erde bis in die Tiefe des Himmels (Asurrakku) an und stellen einen Versuch dar, die tatsächlichen Entfernungen im Sternraum zu bewerten, wobei das Universum als ein sehr großer Ort betrachtet wird. Die Ansicht des Universums als riesiger Ort, spiegelt wohl eine spätassyrische Entwicklung wider, welche die enorme Größe des Reiches zur Zeit der Sargoniden auf die Himmelssphäre projizierte und vergrößerte. Soweit wir uns auf die erhaltenen Manuskripte stützen, stellte diese Tradition eine assyrische Innovation dar, die in das spätbabylonische und hellenistische Uruk exportiert wurde.
Eine Text-Evolution kann deutlich in der Art und Weise wahrgenommen werden, wie verschiedenen Manuskripte die Entfremdung des persönlichen Gottes behandeln. STT 95+ (aus Sultantepe ) stellt die frühere Schicht dar und erwähnt Hexerei überhaupt nicht; Der persönliche Gott hat den Patienten verlassen, wahrscheinlich weil er unabsichtlich eine Sünde begangen hat. BAM 316 (Assur) hingegen fügt Hexerei als eine mögliche Ursache für die Segelung des Patienten ein, ohne jedoch einen festen Kausalzusammenhang mit dem göttlichen Zorn vorzuschlagen. In BAM 315 (Assur) hat sich die Formel weiterentwickelt, um den Kausalzusammenhang zwischen Hexerei und dem Zorn des persönlichen Gottes deutlich zu machen. Diese Idee wird von SpTU II, 22 (spätbabylonisches Uruk) aufgegriffen wo die Hexerei als die einzig mögliche Ursache für göttlichen Zorn und damit für die Probleme des Patienten erscheint. Dieses Beispiel einer geschlossenen Textanalyse zeigt nicht nur, wie die langsame Transformation von traditionellem Text durch Bearbeitung die Transformation eines religiösen Konzepts widerspiegeln kann, sondern es zeigt auch die Übermittlung eines Glaubens an das hellenistische Babylon. Insbesondere ein Text des Res-Tempel legt nahe, dass die Gelehrten des hellenistischen Uruk sich als Erben einer gemeinsamen mesopotamischen Tradition betrachteten, die in ihren jüngsten Stadien stark von Assyrien beeinflusst worden war. Dieser Text ist BMitt 2, 89, eine Liste vonSchreibgelehrten, gepaart mit vorsintflutlichen und historischen Königen. Der Text ist chronologisch geordnet, beginnend mit Oannes-Adapa, gefolgt von Sîn-leqi-unninni als ersten nachsintflutlichen Schreiber. Dann geht es über zu Kabti-ili-Marduk, dem Autor von Ishum und Erra, der anachronistisch mit König Ibbi-Sîn von Ur gepaart ist. Ihm folgen Enlil-bani, der mit Ishbi-Erra in Verbindung steht. es folgen u.a. Esagil-kin-apli und Esagil-kin-ubba, die mit Adad-apla-iddina und Nebukadnezar I assoziiert sind. Dann geht der Text zum Assyrien des ersten Jahrtausends v.u.Z. über. Der Gelehrte Ahiqar ist mit Esarhaddon gepaart.
(hellenistisch 322/317 v.u.Z. aus Uruk)
(PDF) The Afterlife of Assyrian Scholarship in Hellenistic Babylonia | Paul-Alain Beaulieu - Academia.edu
Bild: CDLI-Archival View (ucla.edu)
assyrische Schreiberfamilien im hellenistischen Uruk: Ancient Knowledge Networks online - Table B9: Scholars of the Ekur-zakir family and their associates in early Hellenistic Uruk (uni-muenchen.de)
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