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Der Aufstieg Nanna-Sin´s

 aus: “Nabonid, der ‘Gelehrte auf dem Königsthron’”, in: Ex Mesopotamia et Syria Lux. Festschrift für Manfried Dietrich zu seinem 65. Geburtstag, herausgegeben von O. Loretz, K.A. Metzler und H. Schaudig. Alter Orient und Altes Testament 281 (Münster 2002), pp. 619-645.


Im Zentrum der altorientalischen Königsideologie steht die Vorstellung, der König sei in einem Schöpfungsprozeß, der sich von dem der gewöhnlichen Menschen unterscheide, von den Göttern selbst mit besonderen körperlichen und geistigen Qualitäten ausgestattet worden. Solche Vollkommenheit konnte in gefährlicher Weise die ummanü, die Gelehrten des Königs überflüssig machen, die ihm doch zur Beratung von den Göttern an die Seite gestellt worden waren. Vor solchen unkontrollierbaren, absoluten Herrschern warnt der Babylonische Fürstenspiegel eindringlich:

"Gibt der König auf seinen Gelehrten nicht acht, wird sich das Land wider ihn empören." 

Gelegenheit zu dieser Warnung bot auch der babylonische König Nabonid. Dieser war unter Nichtberücksichtigung der dynastischen Rechte seines Vorgängers Lābāši-Marduk, welcher einem Mordanschlag zum Opfer fiel, 539 v.u.Z. auf den Thron von BabyIon gekommen. Nabonid beschrieb Lābāši-Marduk anschließend als „einen jungen Mann, der nicht die Regeln gelernt hatte, die für das richtige Benehmen notwendig sind. Es war für ihn nicht gerade förderlich, sich gegen den Willen der Götter zu stellen“

Zu seiner (Nabonid´s) Legitimierung nahm er den Willen der Götter in Anspruch:
"Anu und Ellil schenkten ihm Thron, Krone, Szepter und Hirtenstab, die Kultordnung des Königtums für die Dauer der Tage, Ea, der alles erschafft, ließ ihn an Weisheit vollkommen sein, Belet-ill, die alles erschafft, vollendete seine Züge, Nabu der das All überwacht, schenkte ihm die Schreibkunst, Nannar, der Fürstensohn, überwachte seine Erschaffung, Samas, das Licht der Götter, gewann sein Hirtentum lieb, ließ auf sein (Nabu-na'ids) Geheiß die Menschen (harrend) sitzen, Erragal, der überlegen starke unter den Göttern, schenkte ihm Stärke, Zababa, der fürstliche, ließ ihn an Kraft vollkommen sein, Nusku, der Gewaltige, schmückte ihn mit dem Glanz des Königtums, beim Auftraggeben, Beratung-Abhalten und Nachforschungen-Anstellen wurde er zu seinem Schutzgeist, um das Amt, ihn (beratend) anzuweisen, auszuführen ließen (ihn) die großen Götter ihm zu Hilfe kommen."

In einem anderen Text wird berichtet, daß in einem Falle die Gelehrten Nabonids ohne seine Erklärung einen Eintrag in der Serie Enüma-Anu-Ellil nicht verstanden hätten.

Der Vorfall scheint in Verbindung mit der Erhebung einer Tochter Nabonids zur Hohenpriesterin Sins in Ur mit dem Thronnamen En-nigaldi-Nanna (,,En-Priesterin, welche das Verlangen Nannas ist ) gestanden zu haben:

"... Tafeln der Serie Enüma-Anu-Ellil, die Schreiber brachten den Tafelkasten aus Bäbil vor ihn hin zur Einsichtnahme, (denn) nicht einer hörte, nicht einer verstand ihren Inhalt ohne seine Erklärung..."

Zudem eine Stelle aus dem En-nigaldi-Nanna-Zylinder Nabonids, an der Nabonid die Nachricht über eine Mondfinsternis samt ihrer Ausdeutung liefert:

"Am dreizehnten Elul, dem Monat des Werks der Göttinnen, verdunkelte sich die Frucht (Sternkonstellation) und ging verdunkelt unter. Sin verlangt nach einer Hohenpriesterin so (lautete) sein Zeichen und seine Entscheidung."

Durch derartige Einmischungen in Angelegenheiten der Wissenschaften und des Kultes gereizt, wird das "Strophengedicht" nach Nabonids Sturz den König anklagen, die Riten vermengt und die Orakelbescheide getrübt zu haben.


Die Auseinandersetzungen der sich hinter den Gestalten des Sin von Harran und des Marduk von Babylon verbergenden gesellschaftlichen Gruppen bei der Beanspruchung der führenden Rolle sind vor allem anhand der in den Inschriften Nabonids, auf Kosten Marduks, dem Sin beigelegten Epitheta.

Nach der Darstellung im Ehulhul-Zylinder Nabonids wird die Erhebung des Persers Kyros gegen seinen medischen Herrn Astyages durch einen Spruch Marduks in einem Traumgedicht angekündigt. Der Fall der Meder ist dabei die Vorbedingung zur Wiederherstellung Harrans und Ehulhuls, des Tempels des Mondgottes Sin in Harran:
"... Marduk aber sprach zu mir: Der Meder-Haufen, (von) dem Du sprichst, ihn, sein Land und die Könige, die zu seiner Seite gehen, wird es nicht (mehr) geben. Als das dritte Jahr herankam, da boten sie (Marduk und Sin) Kyros wider ihn auf ... mit seinen wenigen Truppen zerstreute er den zahlreichen Meder-Haufen. ..."

In der Babylon-Stele Nabonids erscheinen die Omina wohl zur Begründung der von Kreisen um die Marduk-Priesterschaft ohne Zweifel angefeindeten Wiederherstellung des Tempels Ehulhul und der Statue des Sin von Harran. Demselben Zweck dienen auch die Traumgedichte, in denen Nabonid von den Göttern direkt- ohne Umweg über das priesterliche Vermittlungspersonal - instruiert wird.

Dazu gehören Omina, die die Versöhnung und Rückkehr vormals erzürnter Götter in Aussicht stellen. Dies entspricht der Versöhnung Sins von Harran mit Ehulhul unter Nabonid.
- "Die zürnenden Götter werden sich mit dem Menschen versöhnen."
- "Der Schutz des Gottes wird über den Menschen gebreitet werden, der zürnende Gott wird sich mit dem Menschen versöhnen."


Die Erhöhung des in Syrien seit der altbabylonischen Zeit prominenten Mondgottes ist keine Erfindung Nabonids, sondern die Fortsetzung des Aufstiegs Sins, der sich unter den neuassyrischen Sargoniden anschickte, um die synkretistischer Verschmelzung Assur´s, als "assyrischer Enlil" abzulösen. Nachdem Sturz des Gottes Assur durch den Untergang Assyriens geriet später Marduk, der babylonische "Enlil der Götter" ins Visier der babylonischen Priester Sins.

Im Zuge des zweiten, erfolgreichen Ägyptenfeldzuges Asarhaddons im Jahre 671 v.u.Z. ist ein Brief des Opferschauers Marduk sumu usur an Asarhaddons Sohn Assurbanipal erhalten:

"Als der Vater meines Herrn König nach dem Lande Ägypten ging, da war vor (den Mauern) der Stadt Harran ein Gotteshaus von Zedern gebaut; Sin saß auf einem Hirtenstab, Kronen waren auf sein Haupt gesetzt und Nusku stand vor ihm. Der Vater meines Herrn König trat ein, und da setzte Sin eine der beiden Kronen auf das Haupt des Vaters meines Herrn König, mit den Worten: Du wirst gehen und in diesem Zeichen die Länder erobern. Er ging hin und eroberte das Land Ägypten. Der Rest der Länder (aber) die sich Assur-Sin noch nicht unterworfen haben, wird der König, der Herr der Könige, erobern."

Bemerkenswert ist das Fehlen der Konjunktion "u" (und) in "Assur-Sin".

Inschriften des Gouverneurs Assurbanipals in Ur:
- Nanna (Sin), der König von Himmel und Erde
- Nanna, der König der Enlil Götter

In seiner Inschrift aus dem Tempel der Ningal in Ur findet sich die Nennung der Ninlil, eigentlich Gattin Enlils, als geliebter Gattin Sins. 

Auch Nusku, der ursprünglich der Sohn und Wesir Enlils in Nippur war, wird unter Sin-balassu-iqbi (des Gouverneurs Assurbanipals) in Zusammenhang mit der Übertragung der Enlilwürde auf den assyrischen Enlil-Assur und dem Sin von Harran, diesen Göttern, bzw. diesem Synkretismus, als Wesir zugeordnet, im Falle des Sin auch eindeutig als sein Sohn:

"Ausgeführt habe ich den Befehl Sins, des Königs der Götter, des Herrn der Herren, der im Himmel thront, dessen Name im Himmel "Gott unter den Göttern" ist, erhaben über Shamash (Sonnengott, Sohn von Nanna-Sin) , dessen Name auch Nusku ist. Ishtar, Adad und Nergal, die ausgeführt haben, den Befehl Nanna(r)s, des über sie Erhabenen"


Ein Jahrhundert später, unter Nabonid, wird die Erhöhung Sins zum Götterkönig weiter betrieben durch die Gleichsetzung Sins mit Marduk und durch die Inanspruchnahme verschiedener Tempel anderer Götter als Wohnungen Sins. Unter diesen Tempeln findet sich an erster Stelle Esangil, der Tempel Marduks in BabyIon. Laut "Strophengedicht" habe Nabonid mit Verweis auf das Mondsichelsymbol Esangils das Eigentumsrecht Sins nachgewiesen, denn die Mondsichel sei ja das Symbol des Mondgottes, wohingegen das Symbol Marduks der Spaten sei.

Die Lage verschärfend kommt hinzu, daß nach der Eroberung und Plünderung Elhulhuls offensichtlich die Kultstatue Sins von Harran, und sei sie auch in Stücke zerschlagen, in die Magazine Esangils gebracht worden war. Der ursprüngliche Triumph der Plünderung wandte sich unter den geänderten Vorzeichen der Herrschaft Nabonids nun argumentativ gegen die Interessen Marduks und seiner Priesterschaft. Jene -immer noch magische - Materie, die einmal ein Gott gewesen war, wohnte nun in Esangil und begann von dort aus ihre Wirkung zu entfalten.

Unter Nabonid wird Shamash durch die Gleichsetzung Sin=Bel, Ishtar=Beltiya und Shamash=Nabu (eigentlich der Sohn von Marduk) erklärt. Basis dafür wäre die Bezeichnung Marduk´s als "d.amar.utu" im Enuma elish, verbunden mit nebu/nabu als "strahlend" und "maru" = Sohn. Möchte man diese Stelle, die sich eigentlich auf Marduk bezieht, zu einer Aussage über Nabu verwenden, muß man sie zwar aus dem Zusammenhang lösen und etwas herauslesen, was zuvor wahrscheinlich nicht hineingelegt worden war, doch würde es sich dabei um ein übliches exegetisches Vorgehen handeln.

Unter Nabonid wird die Gleichsetzung von Sin und Enlil anscheinend dadurch weiter gefestigt, daß der Göttin Ishtar, welche seit alter Zeit überwiegend als die Tochter Sins galt, im Ehulhul-Zylinder Nabonids mehrfach Enlil als ihrem Vater zugeordnet wird.

Die Machtvollkommenheit Sins wird nicht nur durch sein Epitheton "bel age" = "Herr der Krone" begründet, welches am nächtlichen Himmel in der gehörnten Mondsichel sichtbar wird, sondern auch durch sein Wandern über die gesamte Welt. Darin war er womöglich - im Sinne seiner Befürworter - geographisch beschränkten Gottheiten überlegen, die sich als Erbe der alten Stadtstaaten mit einer bestimmten Stadt verbanden, wie der Gott Assur mit der Stadt Assur oder Marduk mit Babylon. 


(1) “Nabonid, der ‘Gelehrte auf dem Königsthron’”, in: Ex Mesopotamia et Syria Lux. Festschrift für Manfried Dietrich zu seinem 65. Geburtstag, herausgegeben von O. Loretz, K.A. Metzler und H. Schaudig. Alter Orient und Altes Testament 281 (Münster 2002), pp. 619-645. | Hanspeter Schaudig - Academia.edu

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